Negativzinsen und die neue Wirtschaftswelt seit den 1980er Jahren
Ich begrüsse Sie herzlich zur Diskussion, die nicht aktueller sein könnte: Heute ist der Tag der Geldpolitik. Auf den Tag genau vor fünf Jahren hat die Nationalbank den Euro-Mindestkurs aufgegeben und Negativ-Zinsen eingeführt.
Es ist das zweite Mal innert etwas mehr als einem Jahr, dass wir über Geldpolitik diskutieren, und erneut haben wir ein volles Haus: offensichtlich beschäftigt das Thema viele Menschen. Es freut mich sehr, wenn wir zur demokratischen Diskussion und Auseinandersetzung beitragen können auch bei einem Thema, das – vermeintlich – nur den Expertinnen und Experten zugänglich ist. Ich bin überzeugt: so wie die Geldpolitik uns alle in grossem Ausmass betrifft, schafft nur eine transparente und breite Diskussion Grundlage für Verständnis und Legitimation in einer demokratischen Gesellschaft.
Es freut mich deshalb, dass Martin Schlegel, stellvertretendes Mitglied des Direktoriums der Nationalbank sich an dieser Diskussion beteiligt. Willkommen auch als neuer Nachbar mit dem Kaiserhaus, wo die Nationalbank ein Besucherzentrum einrichtet. Falls ihr am Ende der Bauzeit noch etwas Geld übrig habt, könnten wir hier im Käfigturm einen Lift einbauen.
Der Anstoss für die Veranstaltung von Fabio Canetg, Ökonom, Spezialist für Geldpolitik und Journalist. Er wird den Anlass auch moderieren. Häufig erreichen uns Vorschläge aus der Zivilgesellschaft, von der Uni, engagierten Menschen – und es sind meist die besten, nämlich jene, welche die Leute wirklich beschäftigen. Als Polit-Forum Bern dienen wir dann gerne als software oder Infrastruktur für die demokratische Debatte, in Sichtweite von Bundeshaus und Nationalbank, und in dem alten Gemäuer, dass bis 1897 ein Gefängnis und Verhörzentrum war, und wo auch gerade eine Ausstellung und Diskussionsreihe über Gefängnisse läuft.
Als ich Mitte der 80er Jahre die London School of Economics und Uni Basel verliess, wo ich Ökonomie und Wirtschaftsgeschichte studiert hatte, war die Welt der Geld- und Fiskalpolitik bereits eine völlig andere, als ich gerade noch gelernt hatte. Die Wirtschaftshistorikerinnen und -historiker hatten 1986 an ihrem Weltkongress, der hier in Bern stattfand, wegen steigenden Schulden, schwachen Institutionen und Deregulierung noch vor einer grossen Wirtschaftskrise gewarnt. Aber gleichzeitig begann mit dem Big Bang an der Londoner Börse der Aufstieg einer neuen Finanzwelt mit freien Kapitalmärkten. Bei Aktienkursen und Schulden geht es weiter aufwärts, bei Steuern und Staatsausgaben abwärts, und Wirtschaftsgeschichte wurde an vielen Orten abgeschafft. Nach dem Crash 2007/08 glaubte man zeitweilig an grundlegende Reformen in der Finanzwelt, ja am ganzen System, doch geschehen ist wenig. Letzte Woche hat Kristalina Georgieva, die neue Chefin des IWF, wieder für ein Umdenken plädiert. So leben wir nun weiterhin in der neuen Welt, wo viele Regierungen eine sehr restriktive Ausgabenpolitik und Zentralbanken eine sehr lockere Geldpolitik pflegen. Und seit fünf Jahren leben wir in der Schweiz im Dauer-Ausnahmezustand, wie die NZZ heute schreibt, ohne Euro-Mindestkurs und mit Negativzinsen.
Schaden oder Nutzen? Und: Mit welchem geldpolitischen Konzept arbeitet heute die Nationalbank und in welchem Umfeld muss sie sich bewähren? Ich habe – meinem Alter geschuldet – etwas ausgeholt, aber die aktuellen Fragen diskutieren Jüngere, ich übergebe an den Moderator Fabio Canetg.
15.1.2020