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Rollstuhl-Curling: gemischte Teams und präzise Steine

Rollstuhl-Curling ist eine junge Sportart, die mittlerweile in zahlreichen Ländern gespielt wird. Ein Besuch in der Curlinghalle Bern.

In der Curlinghalle im Wankdorf treffe ich die Rollstuhl-Curler:innen, die unter dem Namen Rolling Stones CC Bern an der Berner Curling Meisterschaft teilnehmen. Ausserhalb von Bern treten sie als Rollstuhl-Curling Team Bern-Gruyère an. Als erstes möchte ich auf dem Eis ein paar Fotos machen. Konstantin kontrolliert sofort, ob ich auch Curling Schuhe mit rutschfesten Sohlen trage: „Nicht dass wir für das Interview zu dir ins Spital kommen müssen,“ lacht er. Nach dem Training treffen wir uns im Restaurant am runden Tisch mit Sicht auf die Rinks (Eisbahnen): Konstantin Schmaeh, Stéphanie Combremont, Pierre Tercier, Mélanie Villars, Martin Bieri. Es wird wild durcheinander deutsch und französisch diskutiert, ich tauche ein in die Welt des Rollstuhlcurlings.

Konstantin und Pierre wurden durch einen journée decouverte – einen Schnuppertag – auf das Rollstuhlcurling aufmerksam. Beide spielen auch Badminton. Stéphanie wurde von Konstantin angefragt: „Weil im Rollstuhlcurling die Teams gemischt sind, werden Frauen gesucht. Er hat mich x mal gefragt, mais vraiment, und dann hat es mir gefallen“, erklärt sie. Mélanie kam bereits 2007 zum Curling: „Zuerst hat mich die Kälte abgeschreckt, aber es macht Spass. Selbst meine Tochter hat mit sieben Jahren mit dem Curling angefangen. Mittlerweile unterstützt sie den Trainer des Schweizer Nationalteams im Rollstuhlcurling und ist unser Coach“. Martin ist gleich lange dabei und spielt auch häufig Teams, in welchen er der einzige Rollstuhl-Curler ist. „Das funktioniert bestens“, so seine Erfahrung.

 

Eine Schweizer Erfindung

Rollstuhlcurling ist eine junge Sportart. Sie wurde erst 1998 und zudem in der Schweiz erfunden (Curling - Swiss Paralympic). Seit 2006 ist sie Teil der Paralymics. Stéphanie ist aktuell im Nationalkader. „Sie ist mächtig stolz“, erklärt Pierre mit Augenzwinkern. Konstantin ist als Reserve im Kader, auch Mélanie und Martin waren in früheren Jahren mit dabei. Im November 2022 war das Nationalteam an der B-Weltmeisterschaft in Finnland, dieses Jahr soll der Aufstieg in die A-Gruppe gelingen. Das Ziel sind die Paralympics 2026 in Mailand-Cortina d’Ampezzo. Die meisten Spieler:innen sind berufstätig und organisieren sich die Zeit und bestenfalls noch das Sponsoring neben der Arbeit.

 

Gemeinsam zusammen

Die Spieler:innen im Rollstuhl – häufig einfach „Rollies“ genannt, worauf auch der Name Rolling Stones anspielt - stossen den 20kg schweren Stein mit einem Stick (Stab) über die Eisbahn Richtung Haus (Ziel). Sie können den Stein auf seinem Weg ins Haus nicht wischen. Schon das gewohnte Curling ist ein Präzisionssport, doch immerhin lässt sich der Stein mit Wischen noch etwas beeinflussen. Erst recht ist Präzision deshalb beim Rollstuhl-Curling gefragt. Die Teams spielen sowohl untereinander als auch gegen „normale“ Teams. Ob dies einen Unterschied mache, will ich wissen. „Oh ja“, kommt es von allen Seiten: „Wenn wir gegen Teams spielen, die den Stein auf seinem Weg ins Haus wischen, dann gibt das eine Fahrspur, die Steine laufen wie auf einer Schiene und „curlen“ weniger“, sagt Mélanie. Im Unterschied zum Rollstuhl-Curling ist es zudem erlaubt, die gegnerischen Steine ab einer gewissen Linie „aus dem Haus“ zu wischen. Manche Teams wischen auch die Steine der Rollstuhl-Curler:innen aus dem Haus, was umgekehrt nicht möglich ist. „Das ist unfair“, meint Stéphanie. Konstantin ist anderer Meinung: „Viele Curler:innen sind beeindruckt wenn sie gegen uns spielen, da wir so präzise sein müssen. Wenn sie unsere Steine wischen, zeigen sie, dass sie uns ernst nehmen und nicht verlieren möchten.“ Und überhaupt: „Es ist cool wenn wir mit Fussgänger:innen spielen.“ Fussgänger:innen? So bezeichnen die Rollies die übrigen Curler:innen – das normale ist immer eine Frage der Perspektive! „Überall wird auf Differenz gemacht. Doch hier im Sport und im Club sind wir einfach akzeptiert, das ist es. Wir spielen nach den gleichen Regeln. Und nach dem Spiel setzen wir uns an einen runden Tisch, auch zusammen mit dem Gegner. Das wollen wir doch: gemeinsam zusammen sein.“

Als Team Bern-Gruyère steht im Februar die Schweizer Meisterschaft im Rollstuhl-Curling in St. Gallen auf dem Programm. Konstantin und Stéphanie bestreiten Ende Januar die Schweizer Meisterschaften im mixed-doubles Rollstuhl-Curling. Für das Gewinner-Team geht es im März an die Weltmeisterschaft in Edmonton, Kanada. Das  Im Curling wünscht man sich vor dem Spiel: guet Stei!

Thomas Göttin 23.1.2023

 

Zusammen auf dem Eis: Konstantin Schmaeh, Stéphanie Combremont, Pierre Tercier, Mélanie Villars, Martin Bieri (von links).