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Murder by dialect

Warum ich die Fasnachts-Zeedel liebe und trotzdem ein gespaltenes Verhältnis zu ihnen habe. Ein hochdeutscher Text über das Zeedeldichten auf Baseldeutsch.

Die ersten Zeilen eines Zeedels setzen den Ton. Im besten Fall erzeugen sie eine Stimmung und eine Erwartungshaltung: „S isch dunggel duss und d Nacht fallt aabe, e liichte Tschuuder, Ahnig numme, me hört dr Holzboggkäfer schaabe…“: (Heb kei Angscht du Trottel, 2015). Es muss nicht gleich ein altes Todessymbol wie der Holzbockkäfer sein. Es geht auch leichter: „Die ganzi Wält ei Gartehag, e Hashtag-Gwitter jede Tag“ (All you can tweet, 2018).

Die ersten Zeilen bestimmen zudem Verslänge und Reimschema. Vierfüssige Verse und klassische Paarreime sind Standard. Mit etwas Mut darf es auch ein Hexameter sein: „Gärn sitz i dunde am Haafe bim Rhy und träum vo Europa“ („Aadie Europa“, Alte Garde 2012). Einmal bot sich mir die Gelegenheit für Schüttelreime (Vo Moskau waiht e yyserne Wind, 2016), um die Moskauer Kälte mit einem Augenzwinkern aufzulockern: „ In Russland gits sit duusig alte Johre / Schneeschtürm, Froscht und gruusig kalti Ohre“ - ebenso wie Putins Muskeln: „Hoch zue Ross hoggt är mit blutte Buuse, / Es stäche sini Musggel-Pflutte uuse“.

Schliesslich braucht es noch den Entscheid zur Sprache: Passt das Baseldytsch vom Daig oder aus dem Alltag, ist es die Gassensprache oder Jugend-Slang? Und zur Schreibweise: Hysli oder Hüüsli? Die Wörterbücher von Fridolin und Suter haben etwas kurlig-altmodisches. Das Neue Baseldeutsche Wörterbuch ist zwar linguistisch korrekt aber manchmal etwas weit vom gewohnten Deutsch entfernt. Deshalb wähle ich eine Schreibweise wie mir der Schnabel gewachsen und die mir möglichst vertraut ist.

Erwartungen an den Zeedel

Manchmal soll der Zeedel fast so etwas wie einen Gegenentwurf zum Fasnachtszug der Clique bilden: „Das kasch jo denn im Zeedel schriibe,“ habe ich oft zu hören bekommen. Denn nicht immer stellt das Sujet ein Gesamtkunstwerk dar, häufig ist es einfach fröhlich oder exotisch: „Es zellt als erschts emol der scheeni Abligg,/ Romantisch, chic, bequäm und jo nicht gstablig./Und hett e Clique doch e Süschee gfunde,/ den isch es sälte Trotz, Protäscht vo unde./ Me goht als Clochard, Punker, Türk, Emanze,/ und gniesst das fremde Tschuudere im Ranze“ (1992 Was gsehsch, wenn du in Spiegel luegsch?).

Aber auch dann sollte der Zeedel kritisch und tiefgründig sein, gleichzeitig gut gereimt und doch wieder vergnüglich, wobei das oft mit der altertümlichen Sprache verwechselt wird. Bei der Ladärne bildet die weisse Leinwand ohne weitere Einschränkung den Rahmen – auf der sich eine unglaubliche Kreativität entfalten kann. Das Gegenstück beim Zeedel wäre ein weisses Blatt: ohne Erwartungen an Inhalt, Form und Sprache.

Murder by dialect

Jede Fasnacht werden mehrere hundert Zeedel und Schnitzelbanggverse verfasst mit mehr oder weniger lustig-nachdenklichem Inhalt. Wo immer sich Baslerinnen und Basler unter dem Jahr treffen, mutieren die Reden und Texte ebenfalls unwillkürlich zu Zeedelform und Schnitzelbänggen mit Bezug zur Fasnacht. Selbst im Rap „Murder by Dialect“ von Black Tiger schwingen Reime mit: „Bulleschtress und Bürgerwehr / Lütt mit Hünd, bewaffnet mit Gwehr / Dummi Type, die mache mi vrruggt / Die sölle mi in Rueh loh susch schlohn‘ y zrugg“. Diese eigentümliche Anziehungskraft hat den Berner Bubi Rufer und den Züricher Boni Koller als Allschwiler Posse gar zu einem Rap-Hit auf Baseldeutsch verführt. Gedichte weitab von der Fasnacht stammen von Hummi Lehr, der langjährigen Zeedeldichterin der Junteressli: „I waiss nit woni aane gheer, und woni myyni Wurzle ha, doo hani mängmool s Gfyyl, i steer, deert aber kumi au nit aa!“ (Leylaa 1997).

Als Basler in Bern, der Texte in allen möglichen Dialekten liebt, würde ich mir eine Frischluftzufuhr mit mehr literarischen Texten abseits der Fasnacht wünschen. Das betrifft nicht nur Themen  und Inhalte, sondern auch die Sprache. Der Hang zu „Baseldytsche Värsli“ hat für mich etwas Beengendes. Selbst den Autorinnen und Autoren des Neuen Baseldeutschen Wörterbuches fehlen andere Beispiele: „Dies spiegelt die fast gänzlich verschwundene Bedeutung des Baseldeutschen als Literatursprache wider. Sie lebt fast ausschliesslich in der satirischen Tradition der Bängg und Zeedel an der Fasnacht fort.“ Der eigene Versuch mit einem Prosa-Zeedel war allerdings ein glatter Reinfall. Die Chat-Sprache und icons des digitalen Zeitalters kamen fünf Jahre vor Facebook  definitiv zu früh: „Aendlosiaendlosiaendlosi Schlaufe. Ae chat uffem Net. BATMAN: CU@ll, mues nöime ane“ (Deka-Danz 1999). Auf den langen, bedruckten Papierstreifen nahm sich selbst der Prosatext wie ein Vers-Zeedel aus.

Zurück zur Fasnacht

Wie der Einstieg des Zeedels den Ton setzt, löst die Pointe am Schluss die Spannung. Sogar wenn der Zeedel existenzielle Fragen beschreibt, schliesst sich der Kreis meist mit Bezug zur Fasnacht: diese drei Tage wollen wir trotzdem geniessen. Nur einmal bildete der Fasnachtsbezug nicht den Kontrast, sondern die unheimliche Parallele zum Alltag:  beim Thema Gewalt an Frauen im Zeedel von Hummi Lehr: „Sins ächt au Männer wo hit Fasnacht mache / und in dr Stadt jetz luschtig sin und lache…? Au bi de glatte Lyt im Fasnachtskittel / gäbs schynts das ominöse Schleeger-Drittel“ (Das tapfere Schweizerlein, 1980). Diese Spannung lässt sich nicht auflösen, letzter Ausweg ist eine Zwischenwelt: „Am Fasnachts-Donnschdig  isch doch Kläpper-Rueh, / do falle alle vorher d Auge zue!“. Dieser wunderbaren, von Zeit und Raum entrückten Zwischenwelt des Donnerstagmorgen habe ich einen ganzen Zeedel gewidmet: „I fühl mi uff eimol so wohlig und liicht./ Was gsehni, wo dört wiene Krokodil schliicht?/ Ä Drämmli – uf d Site – sunscht wird i no gfrässe! / An dr Haltstell stöhn Härde vo sältsame Wääse:/ Ä Waggis, ä Chue und e Blätzlibäiass, / Ä gwagglige Altfrangg lauft einsam dur d Gass.“ (Viva Antidepressiva, 2016).

Zum Schluss ist auch der Absprung ins Weltall möglich: „Die ganzi Wält ei Plastikgugge / s duet nur s Ozonloch duredrugge / Dr liebi Gott fohts afo gruuse / är stellt dä Sagg uff d Milchstross use. / Dört blybt är stoh in d Ewigkait / will är kai Abfall-Märggli drait.“ (Wär will denn hösch die Christo-Wösch, 1996).

Thomas Göttin

Zeedel

Zeedel sind die meist gedichteten, gereimten Texte, die das Sujet einer Fasnachtsclique zum Gegenstand haben. Sie werden am Cortége am Montag und Mittwoch Nachmittag von den Vorträblern verteilt.

Eine kürzere Version dieses Textes habe ich geschrieben für das Jubiläumsbuch „50 Joor Junteressli“. Die Fasnachtsclique Junteressli, bei der ich seit über 40 Jahre Mitglied bin, feierte 2019 ihr Jubiläum. Seit den 1970er Jahren habe ich rund drei Dutzend Zeedel geschrieben.

Sujets und Zeedel Junteressli seit 1969