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Sorge tragen zu Demokratie und Gesellschaft

Liebe Stadträtinnen und Stadträte, liebe Gemeinderätinnen und Gemeinderäte

 

Merci dass ihr mich ein Jahr lang  den Stadtrat habt leiten lassen. Das ist eine faszinierende Aufgabe, ich habe sie mit Stolz und Leidenschaft ausgeübt. Man warnte und bedauerte mich, die Sitzungen in einem Wahljahr leiten zu müssen. Aber was ich gehört habe von hier oben sind viele spannende Debatten, gute Voten und fast durchweg mit Respekt und Anstand.

In diesem Jahr haben wir rund 25% mehr Geschäfte behandelt als in den Vorjahren, darunter rund 100 oder ein Drittel mehr Gemeinderatsgeschäfte. Dabei waren auch ein paar grosse Brocken wie das Viererfeld zu Jahresbeginn oder die Schwimmhalle heute Abend. Mit den 84 Geschäften vom 10. November stellten wir vermutlich ein Langzeit-Rekord an Traktanden pro Sitzung auf. Trotzdem reichte es an diesem Abend noch für einen Schlagabtausch über Velo, Parteienfinanzierung und städtische Infrastruktur.

Gleichzeitig wurden auch ein Viertel weniger Vorstösse eingereicht. Das ist, so hoffe ich, eine  Trendumkehr: die Zahl von den hängigen Geschäfte ist stark gesunken, wir sind beim Pendenzenberg der Anfang Jahr 300 Geschäfte hoch gewesen war, im Abstieg. So haben wir fast ein Jahr Rückstand aufgeholt, aber es braucht noch mindestens zwei solche Jahre, bis wir wieder à jour sind im Parlament für zwei seiner absolut zentralen Aufgaben: zeitgerechte Entscheide über Sachgeschäfte zu liefern sowie aktuell Debatten zu führen und Impulse zu setzen. Ich freue mich über diese Entwicklung, die keineswegs selbstverständlich ist und das noch in einem Wahljahr. Sie hat mehrere Gründe:

Es ist wichtig, dass wir uns mit Respekt begegnen und weder ausgrenzen noch als Opfer zelebrieren. Respekt setzt auch die Latte für den Anstand höher. Ich habe vielleicht wenig eingegriffen. Aber mehrere von euch haben in Voten klar gemacht, wenn Grenzen überschritten wurden, was beweist, dass der Rat als Ganzes diesen Anstand einfordert. Auch bei der Länge  habe ich das Fünfi mal gerade sein lassen, insbesondere bei kurzen Erklärungen, denn im Gesamtergebnis zählt, das alle ihre wesentlichen Inhalte darlegen können. Und das hat wahrscheinlich insgesamt zu kürzere Debatten geführt.

Wichtig sind auch die kleinen Veränderungen welche die Rolle des Parlaments stärken im Zusammenspiel mit Exekutive, Verwaltung und Medien. So macht eine gemeinsame Traktandierung Sinn, weil die Medien über Vorstösse heute - wenn überhaupt  - beim Einreichen berichten. Bei aktuellen Themen gibt es Vorstösse und Stellungnahmen von allen Seiten, welche schon fast den Charakter von Fraktionserklärungen aufweisen. Abgesehen von den Aufräumsitzungen könnte das neue Parlament auch noch mehr Vorstösse aus vergangenen Legislaturen abschreiben und sich so entlasten. Zulegen müssen wir bei der Kommissionsarbeit: Es gehören nur grundsätzliche Differenzen ins Plenum. Gerade weil Verwaltung und Exekutive professioneller geworden sind, braucht es mehr Informationsaustausch mit den Kommissionen, besonders bei langfristigen und komplexen Geschäften wie Planungsfragen.

 

Immer noch Misstrauen besteht im Verhältnis vom Gemeinderat zum Parlament. Wenn der Stadtrat seine Hausaufgaben macht, dann ist der Gemeinderat wieder am Zug. Mein Ratschlag: keine Angst vor dem Stadtrat. Beim Besuch der Lernenden aus der Verwaltung im November fragte ich sie nach ihrem Eindruck, wie der Stadtrat nun Geschäfte behandle, die sie in der Verwaltung mit vorbereitet hätten. Die Antwort: das erste Mal hätten sie auch Argumente dagegen gehört. Das ist wichtig: was den Stadtrat übersteht, ist wurde mal gründlich gebürstet, und nicht nur zum Nachteil. Und je komplexer ein Geschäft, desto wichtiger.

 

Für meine Aufgabe als Präsident halfen mir zwei Wetten: mit Christa Amman, Alternative Liste AL, hatte ich gewettet, dass ich das ominöse Wort nicht werde brauchen welches „das Resultat vom Ertrag gemessen an Aufwand“ bezeichnet. Und bei Bernhard Eicher, Fraktionschef FDP, ging es darum, ob er mich im Rat auf die Palme treiben könne. Beides hat mich immer daran erinnert, dass das inhaltliche Resultat im Zentrum steht und dass der Präsidenten aufs Maul hocken sollte. Ich bin hart auf die Probe gestellt worden. Abrechnen können wir beim Schlussessen.

 

Ich erlaube mir noch ein Wort zur Lokalpresse, obwohl ein Lokalredaktor kürzlich behauptet hat, dass Politiker die Medien nicht kritisieren sollten. Die Ausdünnung der Lokalpolitik findet auch in Bern statt, selbst wenn die Innenpolitik, welche ja auch in „Bern“ ansässig ist, ein bisschen darüber hinweg täuscht. Es hat eben Konsequenzen auf Löhne, Arbeitsplätze und Inhalte, wenn ein ganz normaler gewinnoptimierender Mischkonzern in Zürich, mit über 10% Eigenkapitalrendite und welcher dem CEO 6 Millionen zahlt, im Anhang noch „Herausgeber“  von Berner Zeitungen ist.

Zeitungen sind aber selbst auch Teil von einer Entwicklung in der Gesellschaft. Inhaltliche Vielfalt ist heute unter Druck zugunsten der Bewirtschaftung von Konflikten. Konflikte geben Anlass zu Empörung, und brauchen deshalb keine Argumente, sondern verteilen Schuld und stiften scheinbar Ordnung, wie Peter von Matt kürzlich bemerkt hat. Obwohl, oder vielleicht gerade weil sie unter Druck sind, könnten Zeitungen neben dem Misstrauen gegenüber allem was online läuft, doch etwas mehr über die eigene Qualität und Rolle in der Lokalpolitik nachdenken.

Gestern, an einer Tagung von Journal B und im Museum für Kommunikation, wurde intensiv die Transformation im Journalismus diskutiert. Das Interesse war gross gewesen. Die Jungen suchen sich als digital natives die Zugänge online, sind aber genauso an relevanten Inhalten interessiert und als JournalistInnen ausgekochte Profis. Was es braucht sind neue Finanzierungsmodelle – auch mit öffentlichen Geldern, auch auf Stadtebene, wo ja die Gelder immer noch in den Stadtanzeiger fliessen der die Traktandenliste des Stadtrates abdruckt...Und ich bedaure es, wenn das Urteil eines Lokalredaktors über die Traktandenliste lautet „nicht berauschend“, wenn Baugeschäfte in Millionenhöhe drauf sind, ohne dass man sich die Köpfe einschlägt. In der Politik sollten wir zurückhaltend sein beim Begriff „berauschend“ – die Erfahrungen der Vergangenheit sind es nicht. Und die Erfahrungen in der Gegenwart sind es auch nicht.

 

Diese Gegenwart beschäftigt mich, uns alle in diesem Jahr. Im Zusammenhang mit der Debatte über die Beteiligung der Stadt am Politforum Käfigturm wurde heute schon auf die Entwicklung in den USA und andern Ländern verwiesen. Die englische Premierministerin redet heute viel über soziale Ungerechtigkeit und fehlende Bildungschancen – eigentlich ein linkes Programm. Aber eine rechte Regierung kann das nicht umsetzen, sie würde sonst auseinanderfallen, weil das ihren eigenen Interessen entgegen läuft. Donald Trump hat schon gar nicht den Anspruch, sondern verteilt weiterhin Schuld und organisiert Empörung. Steht man politisch links, bekommt man dafür noch die Schuld in die Schuhe geschoben: man hätte zu wenig gemacht oder zu viel gewollt - als Vorwurf von jenen, die alles verhindert haben. Oder man sei “abgehoben“: worüber ich - aus einer Familie mit Berufen wie Grafiker, Nachtwächter, Dienstboten und oft ohne Ausbildung, nur noch kann den Kopf schütteln kann. So wird Glaubwürdigkeit durch Verachtung untergraben – während dem sogar „Liberale“ zum Egoismus von Populisten sagen das sei authentisch, oder betreten schweigen.

 

Ein positives Beispiel ist das Wahlresultat in Basel. Es ist auch ein Zeichen von liberalen Bürgerlichen gegen die autoritäre Rechte. Auch die Wahlen in Bern zeigen diesen Trend. Liberale Bürgerliche könnten – nein müssten den Unterschied für eine sozialere Zukunft ausmachen - sonst haben auch sie keine. Und wenn Linke und Liberale Kompromisse eingehen, dann immer zugunsten der sozialen Gerechtigkeit, das darf dann auch mal ein Parkplatz mehr sein dafür. Sozialer Ausgleich ist der einzige Weg in der Demokratie – dazu hat Mani Matter schon vor Jahren alles in der gebotenen Kürze gesagt, und wir haben alle diese Zeilen im Ohr „dene wos guet geit…“. Sorry, meine Sicht auf die Zukunft ist düster, ich störe den Gottesdienst, wie Luzi Theiler sagen würde, es ist immerhin mein eigener.

 

Eine Hoffnung liegt in den Städten – neben der jungen Generation, die mir immer wieder Freude macht. Auch wenn Städte es alleine nicht richten können, denn sie brauchen Gestaltungsfreiheit. Städte sind Motoren der sozialen Innovation, sie bieten öffentlichen Raum als Ort des direkten, persönlichen Austausches. Ich habe Bern bei vielen Anlässen als eine offene und hellwache Stadt wahrgenommen, und überall ist diese neue Generation am Kommen mit ihren Ansprüchen, aber auch Ideen für eine sozialere Gesellschaft.

Aussergewöhnlich war für mich das Treffen von Stadtrat und Burgerrat im Sommer im Generationenhaus. Die Burgergemeinde trägt viel zur Aufbruchsstimmung bei. Aussergewöhnlich auch das in dieser Form erste Treffen der beiden Parlamenten von Köniz und Bern. Dass wir im Rathaus, mit Sitzplan, mit gemischten Fraktion und beiden Ratssekretariaten zusammen kamen, hat Erfahrungen möglich gemacht, die man anders nicht erwerben kann. Die Voten waren spannend, und die gemeinsame Sitzung hatte definitiv weniger Lärmpegel als die Stadtratssitzungen. Ich freue mich, dass beide Veranstaltungen im neuen Jahr eine Fortsetzung finden.

Was mir für offizielle Veranstaltungen immer gefehlt hat, ist ein Pin mit dem Wappen der Stadt Bern, das man durchaus mit Selbstbewusstsein tragen darf. Also habe ich mit Unterstützung von der Stadtkanzlei für heute Abend für alle die möchten einen solchen Pin organisiert.

 

Ein grosses Merci geht an das Büro, an meinen Vizepräsidenten und die zweite Vizepräsidentin sowie an das Ratssekretariat. Bei ihnen, insbesondere bei Daniel Weber möchte ich mich herzlich für die Unterstützung bedanken. Dank auch dem Gemeinderat, der mich Anfang Jahr im Erlacherhof sogar an seinem Tisch empfangen hat sowie der Verwaltung für die gute Arbeit.

Ein grosses Merci gilt meiner SP Fraktion, welche mich getragen hat. Es ist eine sehr engagierte Fraktion – in den vier Legislaturen, die ich als Stadtrat überblicke, ist die jetzige Fraktion aus meiner Sicht die beste. Ein Dank an meine Partnerin Paula Bezzola auf der Zuschauertribüne, auch sie ist die beste.

Merci allen Stadträtinnen und Stadträten, ganz besonders jenen die abtreten oder nicht wieder gewählt wurden – was häufig in keiner Weise das persönliche Engagement widerspiegelt. Ich habe immer versucht, den Zurücktretenden mit ein paar persönlichen Worten meine Wertschätzung für die grosse Arbeit auszudrücken. Das ist heute nicht möglich -  ich freue mich aber, dass ich mit euch allen nachher anstossen kann.

 

Eine allerletzte Anregung bleibt mir noch, ich habe sie von einem Besuch bei meinem Amtskollegen im Berliner Abgeordnetenhaus, dem ehemaligen preussischen Landtag mitgebracht: ein offenes Berner Rathaus. Ich habe schon Gespräche geführt und hoffe, dieser Wunsch sei auf guten Wegen. Im nächsten Jahr wird das Rathaus 600 Jahre in Betrieb sein – die beste Gelegenheit, dass man die europaweit einzigartige Eingangshalle wieder zugänglich macht für alle Bernerinnen und Berner und Besucherinnen und Besucher, das kann zuerst mit Veranstaltungen sein und später regelmässig. Man könnte in der Halle eine kleinen Ausstellung oder Informationstafel über die Funktion des Rathauses als gesellschaftliches und später auch demokratisches Zentrum aufstellen. Und daran erinnern, dass wir Sorge tragen sollten zu unserer Gesellschaft und zu unserer Demokratie.