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Mehr Gemeinsinn in der Wirtschaft

Natürlich ist ein düsteres Szenario der Entwicklung bis 2040 denkbar oder gar naheliegend. Es ist nicht schwer sich vorzustellen, dass die Menschen bis zum Eintreffen einer Katastrophe nichts lernen. Interessanter – und schwieriger – ist die Frage, was die gesellschaftlichen Konstellationen sind, die Kräfte freisetzen, welche zu einer Wendung zum Besseren führen könnten. In den Szenarien der Berner Zeitung habe jeden Hinweis vermisst. Die beste aller Welten der Berner Zeitung 2040 ist einfach da, und niemand weiss, wie es dazu gekommen ist. Dabei sind es gerade die heutigen, langfristig wirkenden Entscheide, welche die Weichen für die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Es sind ja auch die zunächst vielleicht unscheinbaren und nachvollziehbaren Weichenstellungen Richtung Extremliberalismus vor bald 40 Jahren, welche heute ihre schlimmen Folgen zeitigen.

 

Meine Annahme: es braucht mehr Gemeinsinn - verstanden als am Gemeinwohl orientierte Ausrichtung - auch in der Wirtschaft. Ich nehme dafür an, dass gemeinnützige Wirtschaftsformen in den kommenden Jahren langsam aber stetig an Bedeutung zunehmen werden. Sie werden den Extremliberalismus zurückdrängen, und damit auch die völlig überrissenen Lohnunterschiede, hire&fire-Mentalitäten und Boni-Exzesse. Es gibt heute schon mehr und gewichtigere Alternativen, als man glaubt: der grösste Arbeitgeber in Deutschland ist nicht etwa VW oder die Deutsche Bank, sondern die Caritas mit 520‘000 Beschäftigten, und damit ein gemeinnütziger Betrieb der sozialen Wohlfahrt.

 

Für den gemeinnützigen Sektor wird in der Schweiz mit rund 180‘000 Beschäftigten sowie 80‘000 Freiwilligen sowie einem Anteil von 6 Prozent des BIP gerechnet. Selbst in der Privatwirtschaft dominiert keineswegs nur die Profitmaximierung. Nicht ohne Grund hat die UNO 2012 als Jahr der Genossenschaften deklariert. Weltweit arbeiten über 100 Millionen Beschäftigte in Genossenschaften. Gerade in der Schweiz gibt es eine lange Tradition der Genossenschaften, die bekanntlich im Namen Eidgenossenschaft selbst verankert ist. Unter den weltweit Top dreihundert grössten Genossenschaften finden sich nicht wenige aus der Schweiz: Coop, Migros, Raiffeisen, Emmi, Fenaco, Mobiliar… Der Anteil der Beschäftigten in der Privatwirtschaft, der in Genossenschaften arbeitet, ist auch in der Schweiz beträchtlich und vermutlich wachsend. Neue Erfolgsgeschichten wie Mobility kommen dazu. Mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ist zudem in der einen oder andern Genossenschaft Mitglied. Dazu kommen auch viele Klein- und Mittelunternehmen, welche ihre soziale Verantwortung wahrnehmen, im Unterschied zum Gewerbeverband, welcher leider als ihr politischer Vertreter eine in vielen Punkten dem Extremliberalismus verpflichtete Politik verfolgt.

 

Nehme ich also die 6 Prozent Beschäftigten in gemeinnützigen Sektor, die rund 15% im öffentlichen Sektor, diejenigen in Genossenschaften und in vielen KMU’s, so komme ich bereits heute auf einen ansehnlichen Anteil von vermutlich über 30 Prozent. Nehme ich weiter an, dass sich dieser Sektor in den nächsten 40 Jahren anteilsmässig verdoppelt, könnte dannzumal wieder drei Viertel der Beschäftigten in „normalen“ Arbeitsverhältnissen arbeiten. Die Banken, Grosschemie und ihre Verbände, welche heute die politische und wirtschaftliche Agenda dominieren, schrumpfen in dieser Perspektive auf eine annehmbare und sozialverträgliche Grösse.

 

Zum Weiterlesen

http://2012.coop/en

„Der Dritte Sektor der Schweiz“, Bernd Helmig, Hans Lichtsteiner, Bern 2010