Ein unbeabsichtigtes Experiment
Mittwoch 25. Juli 2007, Inland
Seit Mitte Mai ist der Berner Bahnhofplatz wegen des Umbaus für Privatautos gesperrt. Die erwarteten Staus sind ausgeblieben. Wieso den Platz nicht autofrei belassen?, provoziert die SP.
Von Barbara Spycher
Bern Die Stadt Bern testet zurzeit, wie es sich mit einem autofreien Bahnhofplatz leben lässt. Unabsichtlich allerdings. Der Grund, wieso die zentrale Verkehrsachse durch die Stadt ein Jahr lang für Privatautos gesperrt bleibt, ist der Umbau des Bahnhofplatzes. Doch zwei SP-Stadträte wissen dessen Nebeneffekt durchaus zu nutzen: In einem Postulat forderten sie, die autofreie Phase für eine Verkehrsstudie zu nutzen - als Grundlage für die Vision «autofreier Bahnhofplatz». Letzteres führte zu hitzigen Diskussionen im Stadtrat, doch mit Ersterem rannten sie offene Türen ein: Die Stadt prüft mit einem Verkehrsmonitoring, wie stark sich die Sperrung des Platzes auf den Verkehr in den Quartieren auswirkt, ob der Privatverkehr abnimmt und ob Leute auf den ÖV umsteigen. Erste Zahlen liegen zwar erst Ende August vor, doch klar ist schon jetzt: Das erwartete Verkehrschaos ist ausgeblieben.
Wo sind die 25 000 Autos?
«Das Verkehrskonzept rund um den Bahnhof funktioniert zufrieden stellend, grössere Staus sind ausgeblieben, Reklamationen gibt es wenige», sagt Patric Schädeli, zuständiger Projektleiter beim Tiefbauamt. Es gebe zwar in den Stosszeiten längere Wartezeiten auf Haupteinfahrtsachsen, «aber die gab es schon vorher». Wo sind sie denn geblieben, die 25 000 Autos, die vorher täglich über den Bahnhofplatz fuhren? Schädeli verweist auf das laufende Verkehrsmonitoring.
SP-Stadtrat Michael Aebersold hingegen sieht Studien aus England bestätigt, wonach bei Strassensperrungen ein Viertel der Privatautos verschwindet. Um diesen Effekt in Bern zu belegen, müsse das Verkehrsmonitoring allerdings verlängert werden. «Wenn der Verkehr in den Quartieren nach der Wiedereröffnung des Bahnhofplatzes nicht abnimmt, kann man den Platz für den Privatverkehr definitiv sperren.» Vom SP-Co-Präsidenten Thomas Göttin, der ideelle Grabenkämpfe vermeiden will, tönt es etwas vorsichtiger: «Die guten bisherigen Erfahrungen sind eine Chance, über einen autofreien Bahnhofplatz nachzudenken.»
FDP: Nur mit Tunnel
Deutlich fällt die Reaktion der zweitstärksten Stadtberner Partei, der FDP, aus: «Autofreier Bahnhofplatz ja, aber nur mit Schanzentunnel», sagt Präsident Thomas Balmer. Diese geplante Umfahrung des Bahnhofplatzes hatte das Volk 1997 verworfen, kürzlich brachte sie ein FDP-Stadtrat wieder ins Spiel. Balmer sagt weiter: «Wegen der Verkehrsumleitungen meiden Auswärtige zurzeit die Stadt - das führt zu Umsatzeinbussen. Eine Stadt ist auf auswärtige Kunden angewiesen.»
Bern City, die Organisation der Innenstadtgeschäfte, erachtet einen dauerhaft autofreien Bahnhofplatz gar als «Katastrophe». Geschäftsführer Martin Bühler sagt, bisher habe es zwar keine Reklamationen von Lieferanten oder Geschäften gegeben, «aber nur, weil es absehbar ist».