Die Schuldenbremse als Käsesoufflé
Am 17.2. 2011 lehnte der Stadtrat der Stadt Bern eine Schuldenbremse deutlich ab mit 39 Nein zu 29 Ja Stimmen. Für die SP begründete ich, weshalb wir diese Form der Schuldenbremse ablehnen.
Eine Schuldenbremse ist einfach, verständlich und populär. Man soll nicht mehr ausgeben als man einnimmt. Man soll etwas Eigenkapital auf die hohe Kante legen für kommende Generationen, wer will nicht gern seinen Kindern und Kindeskindern geordnete Finanzen überlassen. Wir alle verstehen das intuitiv. Was für uns privat gilt, soll auch für den Staat gelten, und volkswirtschaftlich soll damit erst noch das Wachstum gefördert werden. Eine Schuldenbremse ist wie ein Käsesoufflé: es schmeckt fein und geht wunderbar auf.
Stadt- und Gemeinderat, so sagen die Befürworter, hätten halt einfach nicht die nötige Disziplin, darum braucht es eine Schuldenbremse – in Bern als erster Gemeinde der Schweiz überhaupt. Ich wehre mich dagegen: Weder leben wir in Bern in einer Schuldenwirtschaftshölle, noch werfen wir das Geld zum Fenster raus. Wir alle wollen den kommenden Generationen eine lebenswerte Zukunft und geordnete Finanzen übergeben. RGM hat in den letzten Jahren bewiesen, dass das möglich ist, die Stadt hat Schulden abgebaut und ausgeglichene Budgets vorgelegt. Und Schulden haben Gründe: Der Anstieg der Schulden Ende 80er Jahre hat übrigens in den letzten Jahren der bürgerlichen Mehrheit eingesetzt – das setzte sich Anfang 90er fort mit der ersten grossen Wirtschaftskrise. Bern hatte 1991 knapp 300, ein Jahr später 3000 Arbeitslose, und dazu ein Kantonalbankdebakel mit 3 Milliarden Verlust. Dazu kommen immer mehr Reparaturaufgaben des Staates, Sparprogramme und die Verlagerung von Aufgaben vom Bund auf den Kanton auf die Gemeinde. Die sozialen Unterschiede und Probleme haben in all den Jahren zugenommen.
Trotzdem hat sich die Schuldenlage in den letzten Jahren wieder deutlich verbessert. Wirtschaftsprofessor Gunter Stephan hat kürzlich den Kanton beurteilt. „Alle Experten, die sich jemals mit den bernischen Finanzen auseinander gesetzt haben, sagten, eine Schuldenquote von 20% (vom BIP) wäre ein tolerierbarer Wert. Jetzt liegt die Quote bei 16% (mittlerweile 15%), die Situation hat sich also dramatisch entspannt“. Und die Stadt steht vergleichsweise noch besser da. Sie hat eine hohe Kreditwürdigkeit bei allen Ratings, die neuste Übersicht der Uni Lausanne bescheinigt Bern gesunde Finanzen und Platz vier der zwanzig grössten Schweizer Städte. Da macht es pffft wie im Käsesoufflé und die Schuldenbremse fällt zusammen: wo ist eigentlich das Problem? Abgesehen davon, dass das Thema populär ist für den kommenden Wahlkampf.
„Wir wollen ja nur sicherstellen, dass die Ausgaben auf die Dauer höchstens im Einklang mit den Einnahmen wachsen“, sagen die Befürworter. Ja, wir auch, aber so harmlos ist die Schuldenbremse eben nicht und so funktioniert sie in der Realität auch nicht.
Was heisst auf die Dauer, und wie symmetrisch funktioniert das? Defizite müssen schon jetzt in spätestens 8 Jahren ausgeglichen werden, das ist machbar, ja der Druck hilft auch für uns gegen die immer – auch bei RGM - vorhandene Versuchung, fremdes Geld zu leichtfertig auszugeben. Das sollte niemand besser wissen als die Vertreter der Finanzindustrie, die vorgemacht haben, wie man Milliarden aus dem Fenster wirft und nun etwas leise auftreten sollten.
Aber die Schuldenbremse will die Handlungsfreiheit auf mechanischem Weg noch mehr einschränken: halbierte Fristen, Einbezug der Investitionen, Sperrklauseln für das Parlament. Das System wäre noch diskutabel, wenn die Schuldenbremse wenigstens symmetrisch wäre – also wenn bei einem Defizit Ausgabenkürzungen und Einnahmenerhöhungen als gleichwertige Massnahmen in Frage kommen und bei einem Überschuss Ausgabenerhöhungen gleichwertig sind wie Einnahmenkürzungen. Aber so ist es nicht: als Beispiel nehme ich den Bund, wo seit Einführung der Schuldenbremse 2003 insgesamt um 20 Milliarden – seit gestern kommen nochmals 5 Milliarden dazu – zu tief budgetiert wurde: Das hat zur Folge, dass 20 Milliarden Ausgaben gestrichen wurden – und nun liegen auf dem Ausgleichskonto der Schuldenbremse 17 Milliarden, die man in den letzten Jahren für Aufgaben in der Umwelt, Sozial- und Bildungsbereichen dringend gebraucht hätte. Auch in der Stadt ist dieser Fall nicht geregelt, das ist das eine, und bei Defiziten kennt die politische Realität nur eine Lösung: Ausgaben runter. Das sagt auch die GLP ganz klar – sie spricht hier wie FDP und SVP - „Wenn es gelingt, die Ausgaben in der laufenden Rechnung zu senken, müssen weder Steuern erhöht noch Investitionen gesenkt werden. Die GLP möchte explizit betonen, dass sie eine bessere Ausgabendisziplin anstrebt.“ Das kann je nach Situation – Eingliederung Stabe, sinkende Steuereinnahmen, Abwälzung von Kosten von Bund und Kanton –jährlich 40 oder mehr Millionen sein. Der Stadt wird mechanisch die Luft abgeschnürt.
Damit man sich das konkret vorstellen kann anhand der bürgerlichen Vorschläge der letzten Budgets: Aufhebung von Denkmalpflege, Agenda 21, Energiestadt, Gleichstellung, Kompetenzzentrum Arbeit, Wirtschaftsförderung, Pinto, Fuss- und Veloverkehr alles zusammen wären gerade mal erst 7 Millionen, dazu Kürzungen von je 2-4 Millionen bei der Kulturförderung, Ambulanten Sozialhilfe, Umweltschutz, Verkehrsmassnahmen, Krippenplätzen, dann wäre man auch erst bei 20 Millionen.
Was nützt Eigenkapital den kommenden Generationen, wenn sie in schlecht unterhaltenen Quartieren aufwachsen und wenn die Lebensqualität sinkt, wenn bei Bildung, Umwelt, Sozialpolitik und Sicherheit gespart worden ist. Ja lässt die politische Realität die Bildung von Eigenkapital überhaupt zu oder wandert das in Steuersenkungen oder Sparprogramme? In Zürich haben die bürgerlichen Parteien inklusive GLP der Stadt sogar trotz Eigenkapital von 700 Mio ein drastisches Sparprogramm verordnet.
Übrigends – privat müsste ich sofort unter die Schuldenbremse, Eigenkapital unter Null, ich habe ein Haus mit Hypotheken und einem viel höheren Verschuldungsgrad als die Stadt, meine Finanzkennzahlen sind katastrophal, und ich stecke alles Geld in die Ausbildung meiner Kinder, das Wohl der Familie, in die Whiskybar, und betreibe erst noch unentgeltlich so unnütze Dinge wie Politik.
Bringt die Schuldenbremse wenigstens mehr Wachstum? Auch das lässt sich so nicht sagen. Wenn überhaupt, dann gibt es positive Zusammenhänge zwischen Wachstum und mehr staatlichen Ausgaben für Bildung, Transport, Kommunikation, Gesundheitswesen. Und dann besteht ja auch die sehr reale Gefahr, dass die Schuldenbremse prozyklisch wirkt: Es geht seine Zeit, bis ein Parlament, erst recht mit einer Sperrklausel, überzeugt ist, dass es Defizite braucht wegen eines Konjunktureinbruchs, und dann wirken die Ausgaben schon wieder fast zu spät. Und in der Krise, wo es die Ausgaben gebraucht hätte, haben sie gefehlt.
Das bringt mir zur Sperrklausel. Die Schuldenbremse kann nur ausser Kraft gesetzt werden mit einer absoluten 3/5-Mehrheit der Parlamentsmitglieder, und das nur bei „absoluten Ausnahmefällen wie einer schweren wirtschaftlichen Krise“. Faktisch erhält also eine Minderheit eine Sperr-Macht, um die Ausgaben zu blockieren. Dabei geht es um die Mitglieder, nicht die Anwesenden. Wer die Ausgaben blockieren will, muss nicht mal im Parlament erscheinen, er kann ruhig zuhause bleiben. Seine Stimme zählt. Das ist demokratiepolitisch fragwürdig, ich habe tiefste Mühe, uns als Parlament teilentmachtet zu sehen. Der Sperr-Vorschlag stammt übrigens von den nicht sehr Demokratie-freundlichen Autoren des neoliberalen Weissbuchs von 1995, die uns später die Wirtschaftskrise und das UBS-Debakel eingebrockt haben. Und jeder, der mir nun sagt, für diesen und jenen Fall sehe er schon eine Ausnahme vor – die GLP konkret beim Problem der Rückführung der Stabe, die FDP beim Bahnhofumbau – oder er selber sei dann auch mal für eine Erhöhung der Einnahmen, dem muss ich sagen, dass das leider nicht zählt, da er ja dann vielleicht zwar in der Mehrheit, aber nicht bei der 3/5-Mehrheit ist, und die Minderheit entscheidet anders. Gerade eine kleine Partei kann dann noch so fest die Schuldenbremse anders oder gut gemeint haben – sie hat sich selber ausgehebelt und aus dem Spiel genommen, das Sagen hat die 2/5 Minderheit.