Koalition der Verantwortung
Es ging mir bei der Stadtratsdebatte vom 17. September wie vielen andern StadträtInnen: ich stellte mich darauf ein, das Budget fertig zu beraten, selbst wenn es die ganze Nacht dauern sollte. Die SVP versuchte mit über hundert Anträgen und endlosen Reden ganz einfach zu verhindern, dass die Stadt ein Budget fürs kommende Jahr erhält. „Wir bleiben bis zum Schluss. Aber ich glaube, die andern Fraktionen wollen bald einmal schlafen gehen“, liess sich der selbstgefällig SVP-Fraktionschef zitieren. Da hatte er sich aber gewaltig getäuscht. Die Debatte wird mir lange in Erinnerung bleiben wegen der Entschlossenheit der Fraktionen von GB, SP, GFL, GLP, BDP/CVP: Diese Fraktionen wollten nicht, dass sich das Parlament von einer einzigen Fraktion - der SVP – auf der Nase herumtanzen lässt. Es bildete sich eine Koalition der Verantwortung, welche ungeachtet von unterschiedlichen Meinungen um jeden Preis verhindern wollte, dass das Parlament als Institution zur Lachnummer verkommt. Weil wir die demokratischen Rechte nicht beschneiden wollten, blieb uns nur das Aussitzen: Während sich die Reihen der FDP und - ausgerechnet – der SVP nach Mitternacht zu lichten begannen, blieben die andern Fraktionen möglichst geschlossen und beschlussfähig im Ratssaal. Selbst als um ein Uhr morgens die elektronische Abstimmungsanlage ihren Geist aufgab, weil sie die ungezählten Abstimmungen der SVP mit Namensaufruf nicht mehr verkraften konnte (oder wollte..?), einigten wir uns auf ein effizientes handverlesenes Abstimmungsverfahren. Irgendwann war absehbar, dass wir diese Nacht das Budget durchbringen würden, es herrschte eine eigenartig aufgeräumt-entschlossene Stimmung, denn wer jetzt nicht nach Hause ging, würde auch bis zum Tagesanbruch bleiben. Irgendwann gegen drei Uhr morgens, als bis auf zwei alle Vertreter der SVP-Fraktion bereits im Bett war, begann der Fraktionschef schliesslich damit, die letzten Anträge zurückzuziehen. Nun konnte über das Budget abgestimmt werden, wobei keineswegs alle, die ausgeharrt hatten, gleich stimmten.
Der Stadtrat zeigte auf souveräne Art Verantwortung. Das war auch nötig, denn der Angriff der SVP galt nicht nur dem Budget, sondern ebenso sehr der Institution Parlament. Mit dem Ausreizen aller Verfahren wollte die Partei das Parlament der Lächerlichkeit und Unfähigkeit preisgeben. Dahinter steht ein zutiefst autoritäres Gesellschaftsbild verbunden mit einer Geringschätzung demokratischer Institutionen und Verfahren. Im Unterschied zum Stadtrat sind die Berner Medien dieser zweiten SVP-Absicht auf den Leim gegangen. Der „Bund“ findet Detailfragen im Plenum „in höchstem Masse ineffizient“, so als liege die Schuld für diese Ineffizenz beim Parlament selber und nicht bei der SVP. Die Berner Zeitung schreibt gar wörtlich, die SVP habe „den Stadtrat zur Schwatzbude degradiert und Ratsbetrieb der Lächerlichkeit preisgegeben“. Im selben Kommentar wird der rot-grünen Mehrheit eine „souveräne“ Reaktion attestiert (wobei leider GLP und BDP/CVP vergessen gingen…), wodurch nur umso unverständlicher wird, weshalb nun der Ratsbetrieb selber und nicht die SVP der Lächerlichkeit preisgegeben sein soll. Eine zwiespältige Haltung zeigte auch die FDP, die vor allem zu Beginn unter der Leitung des Fraktionschefs Philipp Müller in allen Vorgehensfragen auf die Seite der SVP schlug, im Laufe des Abends aber zusehends durch Verlassen des Rats glänzte.
Über alle dem droht der Inhalt vergessen zu gehen. Immerhin verabschiedete der Stadtrat ein Budget des Gemeinderates, das bei Einnahmen und Ausgaben von etwas über einer Milliarde weiter Rückzahlungen der altrechtlichen Schulden vorsieht, Vorkehren trifft falls die Wirtschaftskrise sich stärker auf den Sozialbereich auswirkt, und mit einer schwarzen Null, also ausgeglichen abschliesst. Nicht schlecht für diese schwierigen Zeiten.