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Mehr links und weniger nice to have?

Am 6. Mai versuchte ich zu beschreiben, welche Rolle Journal B im Berner Lokaljournalismus in Zukunft einnehmen könnte, was auf Journal B und in FB einiges zu diskutieren gab: den einen war's zu viel, den andern zu wenig links...

 

Journal B ist ein kühnes Unterfangen: Am Sitz der Redaktion in der Lorrainestrasse 6 berichtet ein fünfköpfiges Team seit sechs Monaten täglich in zwei bis drei Beiträgen über Alltag, Politik und Kultur in der Stadt Bern. Die Erwartungen zum Start waren sehr hoch und stehen in direktem Verhältnis zur Unzufriedenheit vieler, gerade linker LeserInnen mit Bund und BZ, aber in keinem Verhältnis zu den finanziellen Möglichkeiten von Journal B.

KritikerInnen, welche in dieser schwierigen Situation von Journal B „mehr links“ und weniger „nice to have“ fordern, verwechseln meiner Ansicht nach veröffentlichte Meinung mit der Öffentlichkeit. Diese wird gebildet durch all die Leute, die sich über die verschiedensten Kanäle an lokalen Diskussionen beteiligen. Lokalmedien liefern Fakten, Meinungen und Geschichten. Recherchen dazu sind aufwändig, benötigen gut ausgebildete und vernetzte JournalistInnen, und ob die Fakten dann pflichtschuldigst links oder rechts sind, ist ebenso wenig gesichert wie ihre Farbe rot oder grün. Bund und BZ pflegen meist bürgerliche Einschätzungen, deshalb bietet sich bei fast jedem Thema als publizistisch eigenständige Meinung eine linke Position an. Publizistisch gefragt ist aber auch eine gewisse Gelassenheit. Dies im Gegensatz zum Skandal- und Thesenjournalismus vieler Medien, den der Züricher FDP-Stadtrat Martin Vollenwyder kürzlich prägnant kritisiert hat. Beides zusammen ist anspruchsvoll und teilweise gar widersprüchlich und bei Journal B höchstens teilweise eingelöst. Doch Vorstand und Redaktion sind bereit, diesen Weg vermehrt zu gehen. Aber allein „mehr links“ reicht für eine breite wirtschaftliche Basis von Mitgliedern nicht aus. Und publizistisch in der Sackgasse wäre Journal B als „Anti-Weltwoche“ – ohne  Fakten, nur mit einer Meinung.

Diskussion und Meinungsbildung findet zu einem grossen Teil über die neuen sozialen Medien statt. Deshalb ist auch die Zukunft des Lokaljournalismus online. Journal B bietet viele Ausgangspunkte und Vernetzungsangebote: Live-streams von Veranstaltungen, Texte, Bilder und Töne wie beispielsweise die gesprochenen Kolumnen von Guy Krneta, Greis oder Lisa Catena. Das ist keineswegs „nice to have“, sondern integraler Teil einer dynamischen Form der Lokalberichterstattung mit Geschichten nahe beim Alltag und überraschenden Sichtweisen jenseits von links und rechts. Themen und Meinungen wuchern immer wieder in andere Kanäle, münden in neue Diskussionen und werden von vielen Beteiligten weiter geführt. Journal B ist vernetzt über Twitter und facebook und in dieser Welt beinahe schon zu Bund und BZ aufgerückt. Das ist eine bemerkenswerte Leistung, die von einigen graumelierten KritikerInnen kaum wahrgenommen wird. Die Unabhängigkeit von Journal B gegenüber Medienkonzernen scheint für sie ebenso wenig von Bedeutung oder dann selbstverständlich zu sein. Dabei ist die Unabhängigkeit Voraussetzung für alle weiteren publizistischen Schritte und eine wirtschaftlich grosse Herausforderung, die auch die Tageswoche in Basel sowie zentral+ in Luzern beschäftigt. Noch in diesem Jahr wird zudem ein unabhängiges online-Projekt für die ganze deutsche Schweiz an den Start gehen, was zeigt: In der virtuellen Welt werden derzeit die Karten der unabhängigen Medien neu gemischt. Sollte Journal B scheitern, ist Bern weg vom Fenster. Deshalb mein Wunsch: Journal B lesen, wenn nötig kritisieren und mitmachen im Trägerverein. Nur kritisieren und sich enttäuscht abwenden, hilft nicht. Im Gegensatz zum Jammern steht das Mitmachen in direktem Verhältnis zu den Möglichkeiten der Redaktion, Journal B zu stärken.

Text auf Journal B

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