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Mit Griesgram zur Wende?

| Persönlich

Der "Bund" beklagte wieder einmal die Stadtberner Stagnation und die Ermüdungserscheinungen von RGM. Mein Lebensgefühl ist anders, und so schrieb ich am 7.Dezember 2011 eine Replik.

In einem Leitartikel bescheinigt der Bund der Stadt Bern einmal mehr Stagnation und begründet dies wie vor vier Jahren mit Ermüdungserscheinungen und fehlender Aufbruchsstimmung des RGM-Bündnisses. Als Beweis dient einzig das zurückgestellte Stadtfest und dass der Gemeinderat sich angeblich auf die Waldstadt statt die Entwicklung im Westen konzentriere. Kommt der griesgrämige Ton des Artikels davon, dass der Bund dieselbe Haltung bereits vor den letzten Wahlen vertrat, oder liegt er im aktuellen Zustand der städtischen Alternativen FDP und SVP begründet?

Mein persönliches Gefühl für Bern ist weder von Stagnation noch Ermüdungserscheinungen geprägt, wenn ich durch die Stadt spaziere: ob über den neuen Bundesplatz, unter dem Baldachin am Bahnhof durch, oder mit dem neuen Tram in den Westen Berns – sichtbar ist eine Stadt, die sich wandelt und erneuert. In den vergangenen vier Jahren geschah dies vor allem in den Quartieren, mit der  Aufwertung in Bern West und dem Wandel der Länggasse zu einem fast mediterranen Zentrum. In der kommenden Legislatur wird der Osten Berns zu einem Schwerpunkt der Entwicklung: Die Lebensqualität entlang der Achse Ostring-Thunplatz wird massiv aufgewertet und das Tramdepot Burgernziel mittendrin zu einem neuen Wohn- und Quartierzentrum. Im Zentrum freue ich mich das renovierte Stadttheater und die mögliche Öffnung des Burgerspitals. Neue Wohnformen werden von Vielfalt zeugen: autofrei an der Burgunderstrasse, preisgünstig im Stöckacker, gemeinnützig an der Mutachstrasse oder dem Warmbächliweg. Das Theater hat einen modernen Ableger in Köniz erhalten, interessante Köpfe sorgen für spannende Aufführungen, und der Progr strahlt über Bern hinaus bis nach Berlin. Noch mehr? Ja – die Stadtfinanzen sind ins Lot gebracht und die Hauptstadtregion ist national verankert, und der Kanton Bern sendet gewichtige städtische Vertreter ins nationale Parlament.

Fehlende Chancengleichheit

Man darf diesen – ich meine berechtigten - Stolz nicht mit Selbstgefälligkeit verwechseln. Niemand kann die Augen verschliessen vor den dunkleren Seiten: Wir sind in den letzten vier Jahren dank der Intervention der Staatengemeinschaft nur knapp an einem von den Banken verursachten Zusammenbruch vorbeigeschlittert. Die Banken blieben unbehelligt, dafür drohen staatliche Schulden unsere Sozial- und Bildungssysteme zu untergraben. Auch Bern blieb nicht unberührt: Soeben strich der Grosse Rat Schulstunden, die sozialen Unterschiede wachsen, die Anzahl der Armen im Kanton geht auf die 100‘000 zu und nirgends ist die Dichte an Milliardären höher. Aus ungleichen Chancen und Unsicherheit lässt sich populistisches Kapital schlagen. Die Welt ist nicht so heiter, wie sie sich bei einem Spaziergang durch die neuen Quartiere Berns präsentiert. In Sozial- und Wirtschaftsfragen sind die Interventionsmöglichkeiten einer Stadt jedoch bescheiden und die politischen Kräfteverhältnisse an den Schaltstellen leider umgekehrt. Eine lokal begrenzte Aufbruchsstimmung zu diagnostizieren würde angesichts dieser weiter gefassten Perspektive beinahe autistische Züge tragen.

Keine Glanzstücke

Wie die vom Bund herbeigesehnte neue Mehrheit im Gemeinderat mit zwei Mitte-Sitzen zu einer Aufbruchsstimmung führen soll, wenn dies gleichzeitig zu mehr Unberechenbarkeit führt, wie der Bund zu Recht bemerkt, bleibt selbst aus lokaler Perspektive schleierhaft. Die Erfahrungen mit wechselnden Mehrheiten der zu Ende gehenden Legislatur waren bei der Erhöhung des Rentenalters, dem Chaos beim Schulreglement und den sich abzeichnenden Unklarheiten bei der Kinderbetreuung alles andere als Glanzstücke einer Politik des Aufbruchs.

Positiv ist hingegen der Aufstieg von neuen, verlässlichen Parteien, welche auch für RGM zu konstruktiven Partnern werden, mit welchen sich in der kommenden Legislatur übergreifende Kompromisse schliessen lassen. Ein erster Schritt gelang mit dem Wechsel zum vierzehntäglichen Rhythmus des Stadtrates, was zu effizienterer Arbeit, sachlicheren Debatten und weniger Vorstössen geführt hat. Einen Hauch von Aufbruchsstimmung spüre ich derzeit bei Projekten abseits der ausgetretenen Politpfade. Das Projekt einer Berner Online-Zeitung gehört dazu, das Alpine Museum, aber auch das Stadtfest, wo durchaus neue Ideen am Gären sind…

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