Politik mit Herz und Musik
Die Delegiertenversammlung der SP Stadt Bern vom 6. September 2010 fand in der Reitschule statt. Eine Gelegenheit, Politik, Volksmusik und Identität nachzudenken.
Ich freue mich, dass wir heute in der Reitschule sind – es ist der passende Ort für unsere Delegiertenversammlung. Der Abstimmungskampf zur Reitschule ist längst eröffnet, und eine zentrale Rolle spielt die Kultur: mit der tollen CD und natürlich mit Müslüm.
Ich habe kürzlich mit Freunden die Frage diskutiert: Welche Antworten haben wir Linke gegen die vielen rechten Tabubrüche, gegen rückwärts gerichteten politischen Angriffe, gegen die Bewirtschaftung der Emotionen mit dem Ziel einer autoritären Gesellschaft.
Die Antworten geben wir nicht nur mit der Politik, sondern auch mit der Kultur, mit dem Herzen. Kultur ist ein Teil unserer Identität, gibt uns Selbstverständnis, Stolz. Das macht es möglich, dass wir andern mit Sicherheit und Offenheit gegenüber treten. Kultur ist weit gefasst und ich kann doch nur von mir reden: Mein Herz böbberlet bei der Nationalhymne, wie bei der Internationalen – auch wenn ich die Texte bescheuert finde. Ich liebe Volksmusik: der Jodlerchor Sunneschyn von Milken und der Engadiner Jodlerchor – aber auch Werner Aeschbacher, Chummerbuben, Chrige Lauterburg. Die Volksmusik ist daran, sich von der SVP wieder zu emanzipieren, während die Rockmusik sich gerade – mit Gölä und Chris von Rohr - der SVP in die Arme wirft. Musik, Kultur bewegt, wenn Aktualität, Zweideutigkeit, drin enthalten ist, wenn sie nicht im rückwärts gewandten Schema erstarrt sondern auch Zukunfts“musik“ ist. Genau damit hat Müslüm hat die Herzen erobert.
Zur Kultur kommt das Herz. Am meisten gelernt für mein politisches Selbstverständnis habe ich als ist Präsident einer Betriebskommission war – im alltäglichen Arbeitsumfeld. Wir haben unter anderem eine Bar betrieben. Und die Leute sind gekommen, weil wir alle da waren. Nahbar. Greifbar. Und weil es um die alltäglichen Themen ging. Ganz banal, ganz praktisch. Auch das gehört dazu, auch das hat mit Stolz und Identität zu tun. Darum bin ich immer stolz, wenn ich die SP-Leute auf der Strasse sehe, und das ist viel der Fall, im Bett im Marzili oder vor dem Stadtrat, beim Unterschriftensammeln am Bahnhof, am Herzogstrassenfest.
Politik und Theorie und Kultur und Herz, das brauchen wir auch dort, wo es für uns am schwierigsten ist, und wo wir ebenfalls antreten müssen, sollen, dürfen, denn das ist gelebte Politik, zum Beispiel in Bern etwa in Bümpliz oder Bethlehem.
Die SP ist eine breite Volkspartei, dieser Anspruch unterscheidet uns stark von Spass- und Einthemen-Parteien. Es ist eine soziale Partei und keine Markt-Partei, die nichts als Kunden und Konsumenten sieht, wie die FDP und neustens die GLP, ja und weitere bis ins RGM-Lager. Die sozialen Bindungen (Ligaturen würde der Soziologe Ralf Dahrendorf sagen) sind uns wichtig. Diese bestehen eben nicht nur aus Preissignalen und Betreuungsgutscheinen, sondern aus Vertrauen, aus Emotionen, Sicherheit, Stolz und Kultur. Es gibt nicht nur einen Strommarkt, einen Schulmarkt, einen Gesundheitsmarkt, und einen Krippenmarkt. Diese emotionale/kulturelle Leere lädt gerade zu ein, die Emotionen zu „bewirtschaften“– siehe SVP – indem Unsicherheit, Bindungsverlust schamlos ausgenützt werden, und der Andere zum Feind und Gegner instrumentalisiert wird.
Wir müssen als Gesellschaft bestimmen, welche Energie, welche Schulen, Gesundheit und welche Einrichtungen für unsere Kinder wir wollen. Das ist kein Plädoyer gegen Konkurrenz – wenn es um bessere Qualität, um neue Ideen geht, gerne. Wenn die Konkurrenz aber ungebremst weiter geht, schlägt das was gut gemeint war, schnell in eine reine Kosten-Konkurrenz um, und dann geht’s auch ganz schnell abwärts mit den Leistungen. Der Lokalteil der Zeitungen ist – oder war – ja auch eine Form von Bindung, bot Orientierung, Vertrauen, Kultur. Wo das Niveau hinführt, sehen wir in Bern an den lokalen Medien. Wenn die eine Zeitung seitenweise den Thilo Sarrazin lobt und die andere seitenlange Huldigungsinterviews mit Erich Hess bringt, brauchen wir dringend neue, eigene Formen von Medien: ich freue mich auf den Tag, an dem ein eigenes, unabhängiges lokales Medienportal in Bern startet – ich bin sicher, das ist wirtschaftlich machbar. National startet Journal21 ein neues Medienportal mit engagierten und erfahrenen Journalistinnen und Journalisten in wenigen Wochen. Und eine Gruppe von 30 Recherche-JournalistInnen hat sich zu einer Recherchegruppe im Web zusammen gefunden. Auch wir, die SP, müssen die Mitglieder, auch die Wählerinnen und Wähler, die Einwohner, über alle Kanäle erreichen, die uns zur Verfügung stehen, und das nicht nur mit Text, auch mit dem Herzen, persönlich im Marzili oder auch per Video über youtoube, dann bin ich wieder bei Müslüm.