Politische Kultur in Bern
Nachdenklich: meine Fraktionserklärung im Stadtrat vom 18. Oktober zu den Vorfällen am 6. Oktober in Bern.
Werte Anwesende
Die Herren Fuchs und Hess, Jenni und Zbinden haben vielleicht heimliche Freude – ihre Rechnung aufgegangen. Wir nicht – wir sind nachdenklich und verägert. Wenn ich nicht an konstruktive Form der Politik glauben würde – einfach und trotzdem differenziert - stünde ich nicht hier. SP hat sich sehr intensiv – auch selbstkritisch - mit dem 6. Oktober auseinandergesetzt.
Wir haben der Situation zuwenig Beachtung geschenkt – der explosiven Mischung Marsch auf Bern, Plakatkampagne und Form der Gegenveranstaltung. Eine Folge von Unterschätzen, nicht wahrhaben wollen und zuwenig konsequent, zuwenig überlegt reagiert.
Wir verurteilen von Gewalt in aller Form und alle Seiten. Punkt. Wir sind betroffen vom Gewaltpotential. Es hat in der Gegenveranstaltung viele friedliche Leute gegeben. Und nachvollziehbare, verständliche Motive. Das Bedürfnis gegen die rassistische, Politik der SVP ein Zeichen zu setzen war ganz klar vorhanden. Die Grenzen zwischen friedlicher Kundgebung und gewalttätigen Krawallen sind fliessend. Es gab auch schon strübere Auseinandersetzungen gerade in den 80er Jahren unter bürgerlicher Mehrheit. Trotzdem: hier haben Einzelne und Gruppierungen sich aufgeführt, das ist absolut nicht tolerierbar. Auch die Veranstalter haben sich nie von sich aus von Gewalt distanziert. Sie haben den Konflikt instrumentalisiert. Die Polizei musste ausbaden. Es hat Verletzte gegeben. Wir bedauern das zutiefst. Die Inhalte des Protestes sind verloren gegangen. Da hat die SP klar gesagt: so nicht, auch in Zukunft nicht. Mit der SP und unserer Politik zu machen hat das nichts zu tun.
Unsere Haltung zur Gegenveranstaltung, insbesondere wie kommuniziert, war Kabis: Eine Unterstützung - unter bestimmten, klaren Bedingungen: Gewaltfreiheit, oder nicht in der Innenstadt, wo Konfliktpotential zu hoch – muss möglich sein. Wenn diese Bedingungen nicht gegeben sind, dann nein. Ideell oder nicht ideell ist Unsinn.
Zur SVP Veranstaltung hätten wir uns überlegen müssen, ob nicht eine Beschränkung auf den Bundesplatz nötig gewesen wäre, auch noch später, weil im Frühjahr die Wahlkampf-Polarisierung noch nicht so absehbar war. Das hätte sich auch der Gemeinderat überlegen sollen, ansonsten muss ich sagen, ist der Gemeinderat dran gewesen, ist geschlossen aufgetreten, und insbesondere der Stapi hat mehrmals und klar Stellung genommen. Die Untersuchung wird weitere Klarheit bringen. Ein Muster wiederholt sich: Wenn wie beim Sozialmissbrauch eine SP-Direktion in der Zielscheibe steht, ist die zuständige SP-Gemeinderätin verantwortlich, wenn es sich um eine FDP-Direktion handelt, ist der ganze Gemeinderat „zschuld“. Mit dem Hinweis auf RGM-Mehrheit macht man es sich zu einfach. Dabei ist eine der Lehren vergangener Auseinandersetzungen gerade die Trennung von operativer und strategischer Ebene von der zuständigen Direktion. Aber man kann natürlich aus jeder Gelegenheit eine Generalabrechnung machen. Nur muss man sich dann die Frage gefallen lassen, ob man nicht gerade die Dialogbereitschaft blockiert, die man einfordert. Ich bin noch nicht lange Co-Präsident der SP der Stadt Bern, und ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich die Augen vor Problemen verschliesse oder kein Ohr für Dialog hätte. Aber was ich in den letzten Monaten erlebt habe, gibt mir zu denken.
Medien haben ihre Wächterfunktion gegen staatliche Willkür und für den demokratischen Rechtsstaat. Kritik gegenüber Gemeinderat ok, RGM ok, auch harte Kritik, ich mag da nicht jammern. Einziges Kriterium für mich auch da: dass nicht Fakten, Meinungen und Bilder zu genau der Polarisierung zurechtgebogen werden, wo man nachher beklagt.
Die explosive Mischung vom vorletzten Samstag ist natürlich auch, und berechnend von der SVP ausgegangen. „Marsch auf Bern“, spielt bewusst auf historische Vorbilder an, in Verbindung mit den Plakaten und Ausschaffungsinitiative, Minarettinitiative. Dazu haben sich schon Exponenten von FDP und CVP geäussert. Mich beschäftigt die systematische Abwertung von Rechtsstaatlichkeit und von den Andersdenkenden, „wir wissen alleine was das Volk will“. Wenn Bundespräsidentin Calmy-Rey aufs Rütli will am 1. August, wird sogar das Rütli zu einer Wiese mit Kuhfladen abgewertet. „Provoziert Religions- und Rassenhass“, hat der UNO-Sonderberichterstatter zum Wahlkampf der SVP gesagt. „Herz der Finsternis“, hat eine englische Zeitung schon im September geschrieben. Nach dem 6. Oktober haben die ausländischen Zeitungen – im Unterschied zum Inland – vor allem den Finger auf die polarisierende, fremdenfeindliche Rolle der SVP gelegt.
Wir müssen an Klarheit zulegen, gegen beide extremistischen Pole, wobei in der Schweiz im Unterschied zu andern Ländern auf einer Seite nicht eine „Splitterpartei“, sondern eine sehr grosse, ursprünglich gewerbliche Partei auf dem Klavier spielt. Und wo SVP und FDP in der Sache oft sehr eng zusammen spannen „Unsere natürlichen Partner“, sagt FDP-Präsident Fulvio Pelli. Besonders in der Stadt, wo der nächste Wahlkampf bereits voll im Gange ist. Ich vermisse gerade in den entschieden Debatten bei der FDP die ur- und nicht neoliberale Stimmen, wo für Rechtsstaat und sozialen Ausgleich eintreten. Und die CVP verlässt mit der SVP das Parlament. Da ist viel politische Kultur verloren gegangen.
Beim Auftreten gegenüber den Leuten, denen ihres Geschäft Angst und Gewalt ist braucht es Zivilcourage um hinzustehen und zu sagen: so nicht, von welcher Seite auch immer sie sind. Das ist durchaus selbstkritisch und persönlich gemeint: Wir müssen hinstehen und sagen: Wir sind die Mehrheit – was Stil, nicht Partei angeht - wir lassen uns die politische Kultur nicht kaputt machen. Denn sonst, das hat die Geschichte gezeigt, sind wir alle die Verlierer. Alle.