Sprache und Respekt
Am 11. Februar 2013 bin ich an der HV als Co-Präsident der SP Stadt Bern zurückgetreten. Stefan Jordi und Edith Siegenthaler übernehmen die Nachfolge. Ein Rückblick auf sechs intensive Jahre und ein Wunsch nach mehr Respekt in der Sprache.
Liebe GenossInnen
Bei meiner Wahl vor sechs Jahren hatte ich keine Ahnung, auf was ich mich da eingelassen hatte. Der erste Weltwoche-Artikel zum Bern Bashing erschien genau in der Woche, in der ich das Präsidium übernahm, und dann ging es erst recht los: Mobbing-Affäre in der Stadtkanzlei, die aufgeheizte Sozialhilfe-Diskussion, SVP-Marsch auf Bern, Sparprogramm und Runder Tisch Finanzen, Wahlniederlagen. Es war schon fast Galgenhumor, als ich im 2007 an der Delegiertenversammlung formulierte, Präsident der SP Stadt Bern zu sein, das sei noch nie so einfach gewesen – rundum hatten alle gute Vorschläge und wussten genau, was man tun oder lassen sollte.
In den Jahren darauf folgten Initiativen und Volksabstimmungen über den Autofreien Bahnhof, den Kita-Ausbau, das Schulreglement und Sicherheit, selbstverständlich immer wieder Initiativen gegen die Reitschule, der Angriff auf die Pensionskasse der Stadt mit der grössten Demo der Stadtangestellten vor dem Rathaus, im letzten Jahr eine saftige Nachtlebendebatte und die grösste Demo seit Jahren, immer wieder Spardiskussionen und neue Parteien, die kamen und zum Teil schon wieder gegangen sind: Die Mitte, Jimy Hofer, BDP, GLP, AL, Piraten, und ebenso treu die Diskussionen um RGM ja oder RGM nein.
Und trotzdem möchte ich wirklich keinen einzigen Moment der sechs Jahre missen. Als Erfahrungen sind auch die schwierigsten Momente unbezahlbar, es ist Realität, nicht Seminarprogramm, erst recht habe ich in diesen Momenten - nicht nur aber vor allem in der SP - erlebt, was für eine Energie und Stärke frei wird, wenn Leute sich gemeinsam engagieren und sich gegenseitig unterstützen. Und dann kann man auch die schöne Erfahrung teilen, dass es wieder aufwärts geht. Der Wahlsieg vom letzten November ist eben nicht vom Himmel gefallen: nach den Niederlagen 2007 und 2008 sind wir in der Stadt immer dran geblieben, bei jeder Wahl etwas mehr Engagement, mehr Zuversicht, und mehr Stimmenanteil. Das ist mit ein Grund, dass ich jetzt, nach den Wahlen vom November, mit einem guten Gefühl kann aufhören.
Noch ein Grund: Das ist das erste Mal überhaupt, dass ich ein Präsidium abgebe wo die Rechnung besser abschliesst als das Budget. Mir ist die interne, nicht so sichtbare Arbeit gerade so wichtig wie die externe: Wir haben die Mitgliederzeitung (dank Leyla Gül) und die Budgetplanung (dank Theo Füeg) auf eine modernere Basis gestellt, die Zusammenarbeit und Transparenz unter den Sektionen verbessert, das Sekretariat ausgebaut, und als eine der ersten Parteien Schweiz weit ein Geschäftsreglement eingeführt. Dies und die ausgezeichnete Arbeit in Partei- und Geschäftsleitung hat geholfen, dass wir im letzten, sehr intensiven Jahr neben Tanzdemo und den Wahlen auch gleich mit dem Aufstieg von Co-Präsidentin Flavia Wasserfallen und Parteisekretärin Leyla Gül ins Generalsekretariat der SP Schweiz zwei wichtige Räder des fahrenden Zuges wechseln konnten. Beides hat mich gefreut, dass uns das gelungen ist, und dass die SP Schweiz mit ihrer Wahl beweist, dass sie realisiert hat, was für gute Leute hier am Werk sind.
Auf politische Ereignisse der letzten Jahre will ich heute nicht gross zurückblicken. Wir haben sie ja zusammen erlebt. Mir bleiben spezielle Momente: Die Stimmung auf der Bühne zu erleben bei den RGM-Wahlabenden, wenn die glanzvoll gewählten GemeinderätInnen eintreffen, oder die Feier nach dem Ja zum progr, weil das Einfädeln dieser Abstimmung eine politisch schwierige Übung war. Nur eine Bemerkung zum politischen Stil. Dabei sind mir drei Stichworte wichtig: Offenheit und Bodenhaftung. Das dritte ist Respekt und hat auch mit Sprache zu tun. Mit einer Sprache, die direkt, aber nicht populistisch ist. Eine Sprache, die Austausch und Zuhören beinhaltet, das muss unsere Stärke als SP, als Linke überhaupt sein. Diese Sprache ist auf die Länge stärker als die Sprache der Empörung.
Empörung begründet sich selber und braucht keine Argumente, wie Peter von Matt kürzlich geschrieben hat *). Sie verteilt Schuld, stiftet Ordnung und gibt das Gefühl, Recht zu haben. Empörung ist wie Angst und Gier potentiell unbegrenzt – und lässt sich entsprechend instrumentalisieren, wie bei der Debatte um Sozialhilfe oder Sicherheit. Darum ist für mich der Abstimmungssieg über die Sicherheitsinitiative der FDP von zentraler Bedeutung gewesen – auch wenn am Anfang fast niemand geglaubt hat, dass wir diese Abstimmung können gewinnen.
Respekt heisst nicht, dass keine Emotionen im Spiel sind, im Gegenteil. Einige von euch wissen, dass ich durchaus heftig werden kann, vor allem parteiintern, und ich möchte mich bei allen entschuldigen, die sich einmal ungerecht behandelt gefühlt haben. Immerhin musste mich Fraktionschefin Annette Lehmann nur einmal aus dem Erlacherhof nach Hause schicken mit der Bemerkung „ es sei jetzt gut“.
Eine respektvolle Sprache ist für die Demokratie etwas vom wichtigsten überhaupt. Sie schafft Verständnis, und Verständnis schafft Vertrauen. Ein respektvoller Umgang mit dem politischen Gegner ist aber letztlich und im Kern auch der einzige Weg, dass man als Person und als Gesellschaft vor sich selber bestehen und sich jederzeit im Spiegel anschauen kann.
Das gilt auch für die lokalen Medien. Im Moment sorgen Gerichte für den Schutz von Persönlichkeiten und Parlamentsarbeit, aber es wäre mir lieber, es würde keine solchen Urteile brauchen. Dafür vielleicht mehr Rückbindung an die lokale Bevölkerung, das könnte ein Gegengewicht bilden zu den immer weiter entfernten Konzerninteressen. Es ist bezeichnend, dass eine neue Generation von lokalen elektronischen Medien am Entstehen ist mit genau dem Anspruch auf Rückbindung an eine community.
Mehr Austausch und Zuhören wäre schliesslich auch für das Verhältnis von Stadt und Land ein Gewinn. Wir sind als weder als Stadt noch Land nur Opfer oder Schuldige, wenn auch viele in Stadt und Kanton gerne nach diesem Muster politisieren. Geben wir also Sorge zur Sprache, das kann Berndeutsch sein - was heisst schon Berndeutsch: von Bern über Biel bis Grindelwald tönt das immer wieder anders - Französisch, Hochdeutsch, oder sonst ein komischer Dialekt.
Zum Schluss ein merci: an meine Co-Präsidentinnen, Béatrice Stucki und Flavia Wasserfallen, an Vizepräsident Felix Hauser und seine Tochter Kaja, mein saxophonspielendes Göttikind, an die Fraktionschefinnen Giovanna Battagliero und Annette Lehmann, und an die beiden Stützen im Sekretariat, Leyla Gül und Michael Sutter. Ein grosser Dank auch an alle Mitglieder der Parteileitung, mit denen ich eine tolle Zeit gehabt habe, die Geschäftsleitung, die Delegierten und überhaupt an alle Mitglieder. Ich bin immer stolz und habe Freude, wenn ich jemanden auf der Strasse, privat oder beim flyer verteilen treffe. Denn Politik macht nur zusammen Spass.
Darum habe ich auch immer gestürmt wegen einem Fest. Ich habe das Wahlfest im Bierhübeli im letzten Oktober sehr genossen. Jetzt mit der Leyla und Flavia im Generalsekretariat hat sogar die SP Schweiz Gefallen an uns gefunden: Das Fest zum 125jährigen Geburtstag der SP Schweiz wird am 7. September in Bern stattfinden. Bis dann!
*) Die Sprache in der Demokratie. Eine Rede zum 225-jährigen Bestehen der Neuen Zürcher Zeitung, in: Peter von Matt, Das Kalb vor der Gotthardpost, München 2012
Interview im Regiolinks