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Kundgebungsreglement KgR (SSSB 143.1)

Stadtrat vom 24.2.2005

Werte Anwesende

Seit ich im Stadtrat bin, haben sich bei mir soviel Unterlagen zum Parlament angesammelt, sooviel zur Kommissionsarbeit und sooooviel zum Kundgebungsreglement. Das ist ganz offensichtlich Ausdruck dafür, dass sich in dem Reglement viele Emotionen - Erwartungen und Befürchtungen – spiegeln: Bei fast allen Debatten über Demos ist Im Rat von dem Reglement die Rede gewesen, bevor es überhaupt beraten worden ist.

Wenn ich das Reglement vorstelle, dann in der Hoffnung, dass sich der Grad der Aufgeregtheit - auf den tatsächlichen Inhalt konzentriert - und auf ein politisches Normalmass reduziert. Zum Gegenstand heisst es im Artikel 1. "Dieses Reglement regelt die Bewilligungs- und Meldepflicht für Kundgebungen auf öffentlichem Grund der Stadt Bern." Das ist der eigentliche Gegenstand, oder wie es in der Kommission ein Stadtrat gesagt hat: "Das Ziel müsste sein, dass so viele Kundgebungen wie möglich korrekt ablaufen". Von dem Motto hat sich die Kommission leiten lassen, sie hat zwar drei Sitzungen gebraucht, aber in einer guten Diskussionsatmosphäre.

Die Kunst beim Basteln vom Reglement ist es, die Balance zu finden: Die Bewilligung soll auf der einen Seite verbindlich geregelt sein, ohne dass auf der andern Seite die Schwelle zu hoch ist, damit nicht – wie eine Zeitung bereits geschrieben hat – der Eindruck entsteht, Organisatoren stünden künftig mit einem Bein schon vor dem Richter. Die Balance können wir nicht der Polizei und nicht dem Gemeinderat überlassen, das ist die eigentliche Aufgabe vom Parlament. Davor dürfen wir uns auch nicht drücken. Schliesslich sei an ein Votum von Conradin Conzetti im Stadtrat vor gut einem Jahr erinnert: Wie eine Demo abläuft, hat immer auch mit Personen, Umständen, Kulturen oder kurz mit praktischer Vernunft zu tun. Nicht alles kann in einem Reglement geregelt werden.

Das Recht auf Kundgebungen fliesst aus der Versammlungsfreiheit und ist verfassungsrechtlich geschütztes Grundrecht, oder wie es im Merkblatt der Basler Polizei zu Demos heisst: "Die Versammlungsfreiheit ist in der Bundesverfassung garantiert und wird im Kanton Basel-Stadt von der Kantonspolizei aktiv unterstützt." Der Hinweis auf die Versammlungsfreiheit in der Berner Kantonsverfassung (Art 19 Absatz 1) findet sich auch im Ingress vom Kundgebungsreglement, allerdings erst aufgrund von einem einstimmigen Entscheid der Kommission – in den Entwürfen der Polizeidirektion fehlte dieser Hinweis noch.

Bern als Bundeshauptstadt ist Stolz darauf, dass man im Zentrum der politischen Entscheide und Diskussionen steht. Demos gehören zu einer lebendigen politischen Auseinandersetzung, sie sind ein Seismograph der Befindlichkeit einer Gesellschaft. Wenn in Bern Tausende, oder Zehntausende zusammen kommen, etwa gegen den Irak-Krieg oder bei Gewerkschafts-, Bauern- oder Töffdemos, steht Bern im nationalen, ja internationalen Schaufenster. Ein Reglement muss auch dem Rechnung tragen und darf sich nicht zu stark in polizeitaktische Überlegungen im Umgang mit kleineren Demos oder in lokalpolitischen Schlagabtäuschen verheddern. Natürlich schätzen nicht alle Leute Kundgebungen, auch dafür braucht es Verständnis. In einer komplexen Welt haben Menschen unterschiedliche Interessen, oder überhaupt kein Interesse an allen Fragen der Politik und der Gesellschaft. Das Gewerbe beklagt sich über Umsatzeinbussen ebenso wie auch über die Konkurrenz von den Agglomerations-Center. Ein belästigungsloses Leben ist leider aus vielen verschiedene Gründen nicht möglich. Es braucht immer Toleranz. Wenn es um so politische Fragen wie Kundgebungen geht, sind wir als StaatsbürgerInnen gefragt und nicht in erster Linie als Kunden.

Die Bewilligungspflicht – die hat es bisher gegeben und wird es weiterhin geben - ist ein sinnvolles Instrument. So kann man die real existierenden verschiedene Interessen möglichst gut koordinieren. Die Bewilligungspflicht wird mit dem neuen Reglement wesentlich konkretisiert und ausgebaut. Der Grundgedanke ist der frühzeitige Kontakt zwischen Polizei und Organisatoren. Über das Instrument der Bewilligung müssen sie sich verständigen über die Rahmenbedingungen einer Kundgebung – die Organisatoren stehen dann auch in der Pflicht, sie müssen für die Einhaltung von diesen Rahmenbedingungen sorgen. Die Erfahrungen der Polizei zeigen, dass es praktisch nie zu Ausschreitungen kommt, wenn man sich im Vorfeld über die Rahmenbedingungen hat können verständigen.

Das Reglement ist verwaltungsintern sehr lange unterwegs und hat bereits drei PolizeivorsteherInnen erlebt. Es stammt noch aus der Zeit vor der Regierungskrise. Das hat man ihm auch immer irgendwie angemerkt. Der offizielle Grund für die Revision ist das Urteil im Fall Brunner. Gestützt auf das geltende Kundgebungsreglement hat die Polizei die Ständerätin Christiane Brunner wegen Teilnahme an einer unbewilligten Demo bestrafen wollen (es ging um die Ablehnung der Mutterschaftsversicherung). Meines Erachtens ist das ein untauglicher Versuch gewesen, zum den Straftatbestand von der Teilnahme an einer unbewilligten Demo einzuführen. Ich zitiere aus dem Urteil: "Für die Strafbarkeit der Teilnahme an einer unbewilligten Kundgebung ergeben sich aus dem Wortlaut der Bestimmungen keine Anhaltspunkte. Die Statuierung der Strafbarkeit der blossen Teilnahme an einer unbewilligten Kundgebung würde überdies wegen des Begriffes des Teilnehmers zu unwägbaren Vollzugs- und Auslegeproblemen führen..." Dass das geltende Kundgebungsreglement wegen dem nahezu wirkungslos ist, lässt sich durch das Urteil nicht begründen. Immerhin werden auch heute die meisten Demos ganz normal und ordentlich mit einer Bewilligung durchgeführt. Im Vortrag wird korrekt gesagt, die Wirkungslosigkeit beziehe sich nur auf das Problem von unbewilligten Demos auf dem Bundesplatz während der Session und auf die Dauer von Spontankundgebungen. Man hätte sich so gesehen mit einer Teilrevision begnügen können. Ursprünglich hat die Polizei 2001 die Totalrevision auch mit dem Verzicht auf eine Verordnung begründet. Jetzt soll es eine geben. Sie liegt aber bis jetzt nur in Stichworten vor.

Das neue unterscheidet sich vom geltenden Reglement im wesentlichen durch folgende Elemente: Organisatoren von einer Kundgebung haben neu mehr Pflichten (Art. 4).: Sie müssen nicht nur eine Bewilligung einholen, sondern auch Ansprechpartner für die Polizei sein und einen Ordnungs- oder Organisationsdienst stellen. Ähnliche Auflagen gelten auch für die, wo eine Spontandemo organisieren: Sie haben eine Meldepflicht und müssen Ansprechpartner sein (Art. 4 Abs.2). Wer das nicht einhält, kann bestraft werden. (Art. 8). Neu sind Spontandemos strenger definiert: sie können nur noch 1 Tag nach Bekanntwerden vom Ereignis stattfinden (Art. 3). Im geltenden Reglement ist die Dauer nicht beschränkt, im Gerichtsurteil Brunner wird von 48 Stunden ausgegangen. Neu erstreckt sich das Verbot von Kundgebungen auf dem Bundesplatz nicht nur auf die Sessionen, sondern auch auf die Marktzeiten, namentlich Wochenmärit, Zibelemärit und Geranienmärit (Art. 6).

Der Art. 5 ist ein erratischer Brocken und richtet sich als einziger Artikel nicht an die Organisatoren, sondern an alle TeilnehmerInnen einer Kundgebung. Sie sind verpflichtet, sich unverzüglich von einer Demo zu entfernen, wenn sie aufgelöst wird. Wer das nicht sofort tut, macht sich strafbar (Art. 8). Das ist als Bestimmung so neu und schweizweit einzigartig. Die Polizei kann Kundgebungen bereits heute auflösen. Will sich bei der Auflösung von einer Demo jetzt TeilnehmerInnen, wo bleiben, auch noch gerade ganz generell strafbar machen, geht die Polizei davon aus, dass sie die Auflösung früher und einfacher durchsetzen kann, zum Beispiel auch dann, wenn noch gar nichts passiert ist, bei blossen Vorzeichen von einer Eskalation: jemand verbrennt Fahnen oder demontiert polizeiliche Abschrankungen. Wenn der Rat auf das Reglement eintritt, wird er den Artikel sicher genau unter die Lupe nehmen. Es werden sich juristische Fragen stellen , ob eine Verschärfung vom Strafrecht vorliegt, es werden sich praktische Fragen stellen: zur Demogrösse - der Polizeikommandant hat bereits in der Kommission gesagt, dass der Artikel nicht für alle Kundgebungen anwendbar ist – zur Abgrenzung von Teilnehmern und Gaffern, zur Gefahr von Massenpanik und Verantwortung und zum Zeitpunkt der Auflösung. Schliesslich wird der Rat eine politische Wertung vornehmen: Zum Verhältnis von Kundgebungsreglement und Polizeitaktik, zur Signalwirkung und zu den Rahmenbedingungen, wo das setzt im Umgang mit Kundgebungen insgesamt.

Die Kommission hat dreimal über dem Reglement gebrütet. Nach der zweiten Sitzung hat die frühere Gemeinderätin das Geschäft zur Überarbeitung entsprechend den Entscheiden der Kommission zurückgenommen. Der vorliegende Vorschlag ist das Resultat von dieser Überarbeitung. Dabei ist der Gemeinderat zwei zentralen Kommissionsentscheiden nicht gefolgt. Er hat die Strafbarkeit der TeilnehmerInnen (Art. 5) beibehalten. Die Kommission hat den Artikel mit 5:4 Stimmen streichen wollen. Zudem hat die Kommission einstimmig, ohne Enthaltung und mit Zustimmung der Gemeinderätin beschlossen, dass im Reglement statt von Ordnungsdienst von Organisationsdienst geredet wird. Es kann nach Ansicht der Kommission nicht sein, dass die Polizei das staatliche Gewaltmonopol aufgibt und den Organisatoren Polizeiaufgaben zur Auflage gemacht werden. Da ist die Kooperation zwischen Kommission und Verwaltung noch nicht optimal gelaufen.

Ein Wort noch zum Umfeld vom Reglement. Die Kommission hat sich insbesondere mit der Kantonalisierung von der Polizei auseinandergesetzt. Es wird so sein, dass die Verantwortung für die Sicherheit bei der Stadt liegt, die Einheitspolizei aber unter der operativen Führung des Kantons steht. Das könnte Probleme geben, indem sich Stadt und Kanton die Verantwortung gegenseitig in die Schuhe schieben. Dafür ist noch keine befriedigende Lösung in Sicht. Möglicherweise muss darum das Reglement später wieder angepasst werden. Hingewiesen sei auch auf die überwiesene Motion der PUK "Klarheit schaffen im Polizeibereich". Sie fordert auf Verordnungsstufe eine Regelung zum Umgang mit der Schnittstelle politische/operativer Führung, eine ständige gemeinderätliche Kundgebungs- oder Polizeidelegation und die Kennzeichnung der Ansprechspersonen vor Ort bei grösseren Polizeieinsätzen. Schliesslich ist vor kurzem bekannt geworden, dass der Gemeinderat in eigener Kompetenz ein Nutzungskonzept für den Bundesplatz verabschiedet hat, welches Kundgebungen während den Sessionen bereits verbietet.

Die Kommission hat Nicht-Eintreten mit 2 zu 7 Stimmen abgelehnt und ist mit 7 zu 2 Stimmen auf die Vorlage eingetreten. An ihrer dritten Sitzung hat sie mit 5:4 Stimmen bei zwei Enthaltungen beschlossen, dem Rat eine Rückstellung zu empfehlen, bis folgende Punkte geklärt sind: a) Die Haltung von Bundesrat/Bundeskanzlei zu der möglichen Aufhebung des Kundgebungsverbotes während den Parlamentssessionen und b) die Rahmenbedingungen und Eckpunkte von der Kantonalisierung der Polizei, insbesondere der politische Handlungsspielraum der Stadt. Die Eventualanträge GFL/EVP und GPB zu der Rückweisung an die Kommission zur Detailberatung sind nicht vorgelegen. Aber es ist schon so, dass die Kommission im Moment zur Detailberatung keine formellen Anträge hat. Wie auch immer der Rat entscheidet: ich wünsche, dass er die Balance findet für Ziel vom Reglement: dass möglichst viele Kundgebungen bewilligt und korrekt ablaufen können. Vielleicht ist, wenn nicht "eine andere Welt", so doch "ein anderer Umgang möglich".