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Gratwanderungen statt Verbote

Werte Anwesende

Doppelmandate sind eine Gratwanderung. Für die SP sind sie nur in Ausnahmefällen zulässig. Es ist eine sensible Frage, und es verträgt nicht viel. Auch gemäss GO der Stadt Bern dürfen zu Recht höchstens zwei Gemeinderäte gleichzeitig im nationalen Parlament sein. Vier gleichzeitig wären also, anders als es die Motion suggeriert, überhaupt nie ein Thema gewesen.

Fast alle Parteien haben in ihren Reihen PolitikerInnen, welche auf diesem Grat wandern. Die FDP mit Kurt Wasserfallen seinerzeit in Bern, Kurt Fluri (Solothurn), Olivier Français (Lausanne), die BDP mit Ursula Haller in Thun und die Grünen mit Polit-Urgestein Daniel Brélaz in Lausanne. Gerade Grüne und FDP sind derzeit die einzigen, welche eine explizite Vertretung von einer grossen Stadt im nationalen Parlament sicher stellen, was ich wichtig finde. Bei andern Parteien sind es dann eher Gemeindepräsidenten kleinerer Städte, etwa bei der SVP Rudolf Joder, der während der ganzen 19 Jahren als Gemeinderat von Belp immer auch im Grossrat oder im Nationalrat gesessen ist.

Eine Gratwanderung, ein Abwägen der Vor- und Nachteile ist aber gar nicht möglich, wenn Doppelmandate grundsätzlich, für National- und Ständerat, und dann gerade auch noch für den Grossrat verboten sind, wie das die Motion fordert. Eine politisch sensible Frage soll ab 2015 per Motion einfach wegverboten werden. Ich halte das für ein populistisches, im Kern unpolitisches Vorspielen von schnellen, einfachen Lösungen für eine schwierige Frage. Die SP lehnt die Motion ab.

Zu den Nachteilen eines Doppelmandates gehören Ämterkumulierung, Entschädigungen und Interessenkonflikte, und dann der zusätzliche Zeitaufwand, wie Hans Stöckli gesagt hat.

Man kann sich aber auch organisieren in einer Exekutive, sodass ein Mitglied die Interessen der Stadt auf Bundesebene einbringen kann. Luzi Theilers „Kronzeuge“ Hans Stöckli hat nämlich auch gesagt, allen Nachteilen zum Trotz ist ein Parlamentssitz ideal, damit urbane Sichtweisen ins ländlich geprägte Parlament einfliessen.

Tatsache ist: die grossen Städte sind in der Bundesversammlung dramatisch untervertreten. Natürlich gibt es ParlamentarierInnen, wo in Bern oder Zürich wohnen, aber sie werden im und für den Kanton gewählt, allenfalls für eine Interessenorganisation, und nicht für die Stadt wie ein Ständerat für den Kanton. Der Unterschied ist krass: Neun Kantone haben weniger Einwohner als die Stadt Bern und sind mit insgesamt 14 StänderätInnen in der Bundesversammlung offiziell vertreten. Die Städte Bern, Basel, Zürich und Genf haben überhaupt keine Vertretung, nur für Lausanne sind Grüne und FDP mit Exekutivmitgliedern im Nationalrat und können diese spezifische Erfahrung einbringen. Wenn die Städte eigene Standesstimmen hätten, oder wenn wir ein Berufsparlament hätten: a la bonheur, das wäre eine andere Ausgangslage, aber davon sind wir leider weit entfernt.

Im Gegenteil: Da sitzen Gemeindepräsidenten aus ländlichen Gebieten, Landwirtschafts-, Versicherungs-, Pharma- und Gewerkschaftsvertreter im Parlament, und die urbane, städtische Schweiz nimmt sich mit Doppelmandatsverboten quasi selber und freiwillig aus dem Spiel. Ich ziehe die politische Gratwanderung definitiv einem Verbot vor.