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Schiffbruch des neoliberalen Geschäftsmodells

Mit der dramatischen Finanzkrise geht das neoliberale Zeitalter definitiv zu Ende. Seinen Anfang zu Beginn der 80er Jahre habe ich in London erlebt, als ich das Glück hatte, an der London School of Economics zu studieren. Ich sah den Aufstieg der jungen neoliberalen „Chicago Boys“, ausgestattet mit missionarischem Glauben an den Markt und Verachtung für den Staat. Erster Höhepunkt war der „Big Bang“, die Deregulierung der Londoner Börse. Es folgte der scheinbar unbegrenzte Aufstieg einer neuen Finanz-Aristokratie, die das immer gleiche Geschäftsmodell auf immer mehr Geschäftsfelder anwandte: Mit wenig Eigenkapital und viel Fremdkapital auf steigende Preise und damit auf steigende Gewinne setzen: in den Devisen-, Aktien-, Immobilien- und Rohstoffmärkten. Niemand scherte sich darum, dass das nicht ewig funktionieren konnte. Immer stärker dominierte die kurzfristige Optik – mehr Gewinne im nächsten Quartal. Und diese stiegen erst recht, je mehr Privatisierungen durchgesetzt und Regulierungen abgebaut werden konnten, je stärker Staat und Gewerkschaften zurückgedrängt wurden. So kam es, dass die Aktien jener Unternehmen am stärksten stiegen, die am meisten Leute auf die Strasse stellten. Die cleveren Manager verwandelten zudem ihre Löhne mit Bonus-Systemen in eine gigantische Vermögensübertragungs-Maschine im eigenen Interesse. Einer meiner Londoner Freunde hatte Pech: Er jonglierte in Japan mit dreistelligen Millionenbeträgen, setzte in der Asienkrise 200 Millionen Pfund in den Sand, wurde entlassen und hat später als Pub-Einrichter das Pickwick in Bern mit eingerichtet.

In der Schweiz haben sich die bürgerlichen Parteien früher und radikaler dem Neoliberalismus verschrieben als anderswo – die FDP Schweiz bereits Mitte der 70er Jahre mit dem Slogan „Mehr Freiheit weniger Staat“. Ab Mitte der 80er Jahre wurden alle Volkswirtschafts-Lehrstühle an den Schweizer Universitäten mit Anhängern des Neoliberalismus besetzt, und zu Beginn der 90er Jahre formulierte die Wirtschaftselite mit dem „Weissbuch“ ihr umfassendes Deregulierungsprogramm.

Während all dieser Zeit hat es warnende Stimmen gegeben. Ich erinnere mich an den Weltkongress der Wirtschaftshistoriker, der 1987 in Bern stattfand. Bereits damals war nicht die Frage „ob“ umstritten, sondern bloss wann dieses Wirtschaftsmodell zusammen krachen würde. Auch die SP und die Gewerkschaften haben es immer kritisiert. Bei den tatsächlich folgenden Crashs von 1987 oder später in Asien gelang noch jedesmal eine Verlagerung auf andere Wirtschafsbereiche oder Weltregionen. Die heutige Finanzkrise ist weltumspannend. Ein Ausweichen ist nicht mehr möglich, das ganze Geschäftsmodell hat Schiffbruch erlitten. Das Märchen von den ewig steigenden Gewinnen ist zu Ende, die neoliberalen Zauberlehrlinge stehen mit runtergelassenen Hosen da.

Wenn die SP mehr Eigenmittel für die Banken, mehr Regulierung und Begrenzung der Boni fordert, so will sie damit die Banken nicht in den Ruin treiben, im Gegenteil: Nur so lässt sich erreichen, dass das Finanzsystem wieder zu einem  normalen, langfristig ausgerichteten Geschäftsmodell zurückfindet, das auch dem Werkplatz Schweiz und den Arbeitsplätzen verpflichtet ist.  Und wenn die SP ein schnelles und umfassendes Investitionsprogramm fordert, so um der Gefahr einer schlimmen Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit vorzubeugen. Die Kantone und Städte können dazu beitragen, indem sie geplante Investitionen vorziehen, Programme für Gebäudesanierung und erneuerbare Energien starten und den genossenschaftlichen Wohnungsbau stärken.

Heute rächt sich die neoliberale Monokultur an den Schweizer Universitäten und bei den bürgerlichen Parteien FDP, SVP und CVP. Die Wortführer schweigen verlegen oder sind in den Ferien. Andere Denk- und Forschungstraditionen – die es in Ländern wie England und den USA immer gegeben hat - fehlen oder werden nicht ernst genommen. Einzelne Manager und Exponenten der FDP warnen bereits wieder vor zu viel Regulierung. Sie möchten das neoliberale Modell über die Zeitenwende retten und wollen nicht einsehen, dass die Party unwiderruflich zu Ende ist. Das ist gefährlich, denn die Herausforderungen werden enorm sein. Es muss gelingen, eine Wirtschaftskrise zu mildern, das Finanzsystem umzubauen und erst noch zu verhindern, dass autoritäre Verlockungen die demokratische Gesellschaft untergraben.

 

Thomas Göttin, Stadtrat, studierte in Basel und London u.a. Volkswirtschaft und Wirtschaftsgeschichte, arbeitete in den 90er Jahren für die Gewerkschaft der Maschinen- und Uhrenindustrie (SMUV). Seit 2007 ist er Co-Präsident der SP Stadt Bern