Kita-Initiative wird lanciert
Artikel im Bund vom 1.Juli 2008
Die Delegierten gaben gestern Abend ihren Segen: Die SP Stadt Bern will Rechtsanspruch auf Kita-Platz durchsetzen. Wer sein Kind in einer Kindertagesstätte platzieren will, soll dies ohne langes Warten tun können. Das fordert die SP. Ihr Rezept: ein Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Das Volk wird sich wohl 2009 dazu äussern können.
Seit Monaten geht der Vorstand der Stadtberner SP mit der Idee schwanger – nun hat er auch das Ja-Wort der Basis: Die Delegiertenversammlung beschloss gestern Abend einstimmig, eine Initiative zu lancieren, um einem individuellen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertagesstätte (Kita) zum Durchbruch zu verhelfen. Geht es nach der SP, müssen Stadtberner Eltern in wenigen Jahren nicht mehr auf einen Kita-Platz warten. Wer sein Kind frühzeitig anmeldet, kann es bei Bedarf unmittelbar nach dem Schwangerschaftsurlaub in die Obhut der städtischen Kita geben. Wer keinen Platz bekommt, kann seinen Anspruch gegenüber der Stadt vor Gericht einfordern (vgl. Kasten). Das wäre schweizweit wohl einmalig.
Es darf davon ausgegangen werden, dass die SP die notwendigen 5000 Unterschriften bis im Januar spielend zusammenbringt. Denn der Leidensdruck ist gross: Eltern von 750 Kindern warten derzeit auf einen Platz. Rund 200 zusätzliche Plätze wären nötig, um diesen Bedarf zu decken. Das Problem ist längst erkannt, doch der Kita-Ausbau geht nur schleppend vorwärts. Zwar hat der Stadtrat jüngst einen forcierten Ausbau gefordert; die hierfür notwendigen Gelder sind aber noch nicht gesprochen.
Grundsatzfrage soll vors Volk
Gerade angesichts des zögerlichen Ausbaus halte es die SP für angezeigt, das Volk über die Grundsatzfrage Rechtsanspruch entscheiden zu lassen, sagte Giovanna Battagliero, Fraktionspräsidentin SP-Juso, gestern Abend vor den Medien. Die Partei habe die Initiative nicht leichtfertig beschlossen, ergänzte SP-Ko-Präsident Thomas Göttin. Doch die Zeit sei reif dafür. Gemäss den Ausführungen der beiden Ko-Präsidentinnen des Initiativkomitees, den Stadträtinnen Ursula Marti und Annette Lehmann, wäre ein Rechtsanspruch zum Vorteil aller Beteiligten. Für Kinder wirkten Kitas integrativ, Eltern könnten so Familie und Beruf unter einen Hut bringen, die Wirtschaft könne auf qualifizierte Arbeitskräfte zählen und die Stadt Bern sich als familienfreundlich positionieren.
Bereits vor einem Monat äusserten sich die GFL, FDP und SVP auf Anfrage des «Bund» zurückhaltend bis ablehnend gegenüber einem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz (Ausgabe vom 23. Mai). Hauptgrund für die Skepsis: die Kosten. Gemäss SP würde der notwendige Ausbau um 200 Plätze die Stadt jährlich vier Millionen Franken kosten. Dies im schlimmsten Fall, nämlich dann, wenn sich der Kanton nicht an den Kosten beteiligt. Diese Investition sei für die Stadt tragbar, sagte Göttin. Und Marti wies daraufhin, dass sich jeder in eine Kita investierte Franken in Form von mehr Steuereinnahmen und tieferen Sozialausgaben für das Gemeinwesen mehr als bezahlt mache.
Befürchtungen von Privaten
Was halten private Kitas von einem Rechtsanspruch auf einen Platz? Offiziell will kein angefragter Vertreter zu politischen Themen Stellung nehmen. Hinter vorgehaltener Hand wird der Ausbau als sinnvoll begrüsst. Mancherorts steht aber die Befürchtung im Raum, dass Kunden angesichts des Rechtsanspruchs abspenstig werden. Hierzu das Fallbeispiel: Selbst Spitzenverdiener bezahlen für einen städtischen Platz maximal 2003 Franken im Monat. Private Angebote sind vielerorts einige Hundert Franken teurer. Für viele sind also die städtisch subventionierten Plätze attraktiver – vorab wenn sie dereinst einen Rechtsanspruch geltend machen könnten. Warum sollten sie also nicht Kita wechseln? Private hätten nach wie vor den Vorteil, besser auf die Kundenbedürfnisse einzugehen, etwa mit der Betreuung an Wochenenden oder am Arbeitsplatz, entgegnete Stadtrat Andreas Zysset vom Initiativkomitee. Letztlich sei aber der Wechsel sicher möglich, ergänzte Marti. Schliesslich könnten Eltern älterer Kindern auch zwischen öffentlicher und Privatschule wählen.
Yvo Gehriger, Der Bund 1.7.2008