Mein Tipp 2015: Quartierzeitungen lesen
Seit zweieinhalb Jahren betreue ich das Dossier Quartierthemen auf Journal B. Rund 60 Beiträge sind in dieser Zeit erschienen. Ich habe in dieser Zeit mehr über die Quartiere der Stadt Bern erfahren als in zwanzig Jahren zuvor. Vor allem aber bin ich zu einem leidenschaftlichen Leser der Quartierzeitungen geworden.
Es gibt sie in allen Quartieren in unterschiedlichen Formaten, Formen und Erscheinungsweisen. Allen ist gemein: Sie sind voll von spannenden Geschichten, unterschätzten Informationen, überraschenden Ideen, unbekannten Fotos, kurz von ungeahnten Schätzen und Trouvaillen jeglicher Gattung. Viele haben in jüngster Zeit ihren journalistischen Anspruch erhöht und ins Layout investiert. Sie sind professionell, gut geschrieben ergänzen die städtische Medienlandschaft mit Farbtupfern und Tiefenschärfe. Von medienpolitischer Tristesse auf Quartierebene keine Spur. Im Gegenteil: Setzt man die verschiedenen Eindrücke aus Quartiersicht zusammen, ergibt sich ein eigenständiges, selbstbewusstes, farbiges Bild von Bern.
Stadtentwicklung, Gewerbezukunft, Portraits von Persönlichkeiten, von Läden, Treffpunkten, Kulturorten, Schleichwegen gehören zum Inhalt, präsentiert in Form von Interviews, Berichten, Rätseln und Reportagen. Es ist keineswegs eine heile Welt, über die schwierige Zukunft von Quartierläden wird häufig berichtet, auch über kontroverse Meinungen zu städtischen Entscheiden.
Beispiele gäbe es viele, einige davon sind im Laufe des Jahres auf Journal B erschienen. So habe ich „Die Sache mit dem Ghetto“ im bescheidenen, umständlich gefalteten „Wulchechratzer“ aus Bethlehem entdeckt, von seltenen Wildpflanzen in der Länggasse im Länggassblatt erfahren, oder die Reportage über das Gewerbeviertel Galgenfeld im QuaVier gelesen.
Die Entdeckung 2015 ist für mich jedoch die Brunne Zytig, herausgegeben von den Altstadtleisten. Sie erscheint vierteljährlich meist mit 32 Seiten und seit diesem Jahr in einem neuen Layout. Sie packt aktuelle Themen an wie die Gewerbesituation in der Altstadt, Ladenöffnungszeiten, Tourismusabgabe, oder Quartierorganisationen. Dazu reihenweise überraschende Geschichten: über Stadt- oder Quartieroriginale, offiziell und wild brütende Taubenschwärme, Wanderungen durch die Architekturgeschichte, über Dachterrassen, zum Läuferbrunnen oder über die Groppen (ein alter Speisefisch) im Mattebach. Es ist ein heimliches Altstadt-Geschöpf, die Brunne Zytig, sie liegt manchmal in einer Beiz oder einem Laden auf. Wenn sie jemand sieht, mein Tipp: Lesen.
Thomas Göttin, 31.12.2015