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Misses Smith zieht eine Schnute

"So“ ist das perfekte Motto für die Ausstellung von Raoul Ris. Es hat ähnliche, prominente Vorgänger, ist aber viel besser geeignet als diese. „So“ ist weniger vermurkts als das „soso“ von Franz Hohler in der Geschichte, in der einer immer „soso“ sagt und am Schluss dafür in den Knast kommt, und sein Kommentar auch dann noch lautet: „soso“. Und es ist weniger bünzli-schweizerisch als das „es isch eso – und fertig“ von Massimo Rocchi. „So!“: mit Ausrufezeichen heisst: es geht weiter, „Soo?“ mit Fragezeichen: wie könnte es weiter gehen? 

Bei Raoul hat das Motto einen bestimmten Grund: so, fertig mit Bernsehen ein, zwei, drei, mit Aarebilder und Aufbruch zu Neuland. Nicht so zögerlich wie bei Hohler, aber auch – hoffentlich – nicht so endgültig wie bei Massimo Rocchi: es isch eso und fertig. Das „So“ von Raoul Ris hat  Bewegung und Humor. Im Bild, das diesen Titel trägt, ist die Frau unterwegs, das linke Standbein auf dem Boden, das Rechte auf dem Weg ins Neuland. Sie läuft gegen den Strom, hat die Tasche kess geschultert, die Stellung der rechten Hand erinnert an ein Mudra, eine symbolische Handstellung oder Geste und verrät Neugier und Selbstbewusstsein. Mit „keep the fingers crossed“ wünscht man sich im englischen Glück fürs Kommende. Es freut mich sehr, für dieses Neuland eine Einführung zu machen.

Mein Vorbehalt: ich bin kein Kunsthistoriker, aber Raoul sag von sich auch, er sei kein Künstler, sondern Maler, also passt das vielleicht doch zusammen.

Künstler sind eine Erfindung der Bourgeoisie, sagt er, mit den Preisen macht sie Kunst und Künstler – und da sind wir schon mitten in der Bredouille. Natürlich hat er Recht! Kunst ist Status, „Oh Gott, ist das nicht ein Jeff Koons in ihrem Entrée,“ hat Tom Wolfe kürzlich gespottet. Im Roman von Don Delillo fährt ein junger Multimilliardär ziellos in einer riesigen, weissen Stretchlimousine durch New York, und will umsverrecken die ganze Rothko-Kapelle für sein privates Appartment kaufen, während sein Imperium schon zusammenbricht. „Kunst ist die nächste grosse Blase, die platzen wird“, sagt Tom Wolfe. Sein neustes Buch spielt in Miami, gar nicht so weit weg von hier. Es ist die Dépendence der Art Basel. Und wir haben dieses Jahr in Basel gesehen, wie die Noblesse reagiert, wenn ein paar normale Leute schon nur bei einer chicen, künstlerischen Holz-Favela eine kleine Demo veranstalten, wo ein Esel eine Hauptrolle spielt: Da hört der Spass auf, die Polizei fährt ein und das Volk wird abgedrängt und eingekesselt. 

Wenn aber nicht Künstler, was dann? Maler, ganz einfach, und malen ist für mich eine Kulturtechnik wie schreiben, Musik machen, Texte vortragen. Eine Technik, die man persönlich ausführt, wo man zum Pinsel oder zur Tastatur greift, wo Farbe tropft, Tinte kleckert, Tasten klemmen. Als körperlicher Vorgang ist Malen und Schreiben eng mit dem physischen und intellektuellen Be-greifen verbunden.

Man sollte das nicht gering schätzen, im Gegenteil. Ein Schweizer Maler, Schüler von Tiepolo, hat sich schon im 18 Jahrhundert beklagt, in der Schweiz gäbe es nur Handwerker, eingeteilt in die Zunft der Flachmaler. An den ausländischen Fürstenhöfen, ja da gäbe es richtige Künstler. Dabei hat schon Jacob Burkhardt, auch ein Schweizer, darauf hingewiesen, dass eben gerade Kulturtechniken, Kultur überhaupt ein wichtiges Element ist gegen Diktatur, gegen Fürstentümer und überzogenen Absolutismus in allen Varianten. Hinter der Idee der Balance zwischen Religion, Staat und Kultur – die Wirtschaft ist bei Burckhardt übrigens noch eine Unterabteilung der Kultur! – steht die Vorstellung, dass die Gesellschaft zu einer Vorstellung des guten Lebens fähig ist und der Vorstellung auch verpflichtet sein muss.

Dazu braucht es auch öffentliche Räume, den Austausch und die Pflege von sozialen Zusammenhängen. Es braucht nicht eine Schliessung von öffentlichen Räumen – Stichwort Kunsthalle – sondern im Gegenteil eine möglichst grosse Öffnung, das ist mehr als Öffnungszeiten, das ist Vernetzung, Zusammenarbeit, Auseinandersetzung, wie das derzeit das Theater Bern oder das Alpine Museum umsetzen. Oder das Forum Altenberg, in welchem sich heute zahlreiche Leute zusammen finden, wo es nicht nur Bilder zu sehen gibt, sondern auch Texte und Musik zu hören. 

Bild, Text und Musik werden verwoben: Stephan Mathys hat zum Bild „Misses Smith“ einen eindrücklichen Text beigesteuert mit dem Titel „little brother“, den er selber liest, und dazu improvisieren die Musiker Ivo Prato, Tenorsax, Sämu Herren, Percussion, Chrigu Rechsteiner, Bass, und Raoul Ris am Piano zum Stück „Body and soul“, ein wunderbares Stück mit einem programmatischen Titel, der im Wechsel von Dur- und Moll-Tonarten seinen Ausdruck findet. Alles von Hand gemacht – er liest, sie spielen, wir hören zu: kurz wir verbringen Zeit miteinander, das kann man nicht kaufen, nicht versteigern, nicht aufbewahren, nur geniessen. Anschliessend gibt es Suppe und Tranksame, dazu die Bilder von Raoul, die man kaufen kann, kaufen soll, denn das ist sein Einkommen.

Als „Kunst“ mit Geld überschüttet werden eben längst nicht alle Bilder, sondern im Gegenteil immer weniger: Nur das teuerste vom teuren wird noch teurer, weil es der Spekulation unterliegt – den Auktionshäuser von Sotheby’s und Christie’s wurden schon vor zehn Jahren Fälschung, Schmuggel und Manipulation des Kunstmarkt-Indexes nachgewiesen – genau wie den Banken Manipulation bei den Referenz-Zinssätzen. Das jüngste Kapitel ist eben erst bekannt geworden und führt unter anderem auch nach Bern in die Galerie Kornfeld. Und als sei nichts geschehen, haben die Herbstauktionen von Sotheby’s und Christie‘s vorletzte Woche neue Weltrekorde am Kunstmarkt aufgestellt. Denn ein echter Kapitalist ist eben nicht ein hedonistischer Egoist - oder ein Liebhaber von Bildern - sondern fanatisch mit dem Vermehren seines Vermögens beschäftigt, schreibt Walter Benjamin, und bereit, alles dafür zu opfern. Ein Geld-Junkie sozusagen. 

Und Kunst – entrückt von der Bindung an Kultur und soziale Zusammenhänge – hat das Zeug dazu, diesen Fanatismus zu legitimieren. „Kunst lässt auch gute Menschen schlechtes tun“, stellte der Philosoph Slavoj Zizek kürzlich an einer Veranstaltung im Theaterhaus Gessnerallee in Zürich zum Thema „Is art dangerous?“ fest. Wie macht sie das? Sie flüstert die Losung „du darfst“ in die Welt, ohne moralische Skrupel, tausendfach vervielfältigt und reproduziert in Wort und Bild. „Du darfst“, „du kannst“, „du sollst“, der Imperativ zweite Person kann zu einem mächtigen Verführer werden. Die Verführung muss nicht offensichtlich in Gewalt münden, sie kann auch „nur“ für die Ordnung optieren – weiss doch die Kultur immer um die inhärente Unordnung, die es auch braucht, die zum Alltag gehört, und die der Ordnung ein Gräuel ist. Raoul beherrscht übrigens diese alte Kulturtechnik der Balance von Ordnung und Unordnung bestens, das wissen alle, die  schon bei ihm zuhause bzw – was dasselbe ist - in seinem Atelier an der Postgasse waren.

Ganz besonders ist die virtuelle Welt eine Welt, die nur Ordnung und keine Skrupel kennt. In einem Lieblingsfilm von Raoul und mir, „Die Matrix“ wird diese virtuelle Welt der Ordnung verkörpert durch Mr. Smith, das tausendfach reproduzierbare Überwachungs-Computerprogramm. Raoul Ris schlägt dem Cyberspace mit Humor ein Schnippchen, wenn er all den unendlichen Mr. Smith - eine einzige! – von Hand gemalte Ehefrau Misses Smith gegenüberstellt. In der Hand hat sie ihr Handy, Ein- und Ausgang der virtuellen Welt, unendliche Rückkopplung mit der Matrix, die ihr - big brother - dauernd „du darfst, du sollst, du musst“ zuflüstert. Das Handy klingelt. Aber die Gemalte ist klug und schweigt, sie konsultiert ihr Handy, aber nimmt nicht ab. Lächelt sie?  – na ja, wenn sie jetzt auch noch geheimnisvoll lächeln würde, wäre das in Sachen Anspielungen etwas gar dick aufgetragen. Tut sie aber nicht, ihr einziger, prosaischer, ganz diesseitiger, irdischer, weltlicher Kommentar: sie zieht eine wunderbare Schnute.

Thomas Göttin, 22. November 2013