Kein Schlupfloch für grenzenlose Ladenöffnungszeiten
Motion CVP (Henri-Charles Beuchat, Claudia Meier): Besser für den Tourismus – besser fürs Gewerbe (Ladenöffnungszeiten am Sonntag)
Werte Anwesende
Ich gehe auch manchmal am Sonntag ein Gipfeli, ein Liter Milch und die Zeitung einkaufen. Ich habe Verständnis für alle, die am Sonntag einkaufen möchten. Aus Sicht vom Einzelnen gibt es immer jemanden, der zu jederzeit froh ist, wenn irgend ein Laden offen ist. Vielleicht brauche ich grad am Samstag Abend dringend ein Sofa aus der unteren Altstadt, oder wenn mein Auto am Sonntag in der Nacht kaputt geht, hätte ich gerne eine offene Garage. Und die SP sieht auch, dass sich Lebensgewohnheiten ändern. Dem trägt auch die heutige Situation Rechnung: Kioske, kleine Läden, Blumenläden, Bäckereien, Tante Emma Läden und die Galerien können heute schon offen haben.
Aber wenn jemand mal am Sonntag etwas eingekauft hat, ist das noch lange kein Grund, dass man sich nicht gegen weitere Ladenöffnungszeiten am Sonntag wehren darf. Denn Arbeits- und Öffnungszeiten bleiben Regeln, welche die Gesellschaft etwas angehen. Wenn sich alle Partner, Arbeitnehmerorganisationen, Arbeitgeber, vielleicht sogar Anwohner, einigen können, wäre schon eine ganz andere Ausgangslage. Aber so ist es nicht.
Seit Jahren suchen die bürgerlichen Parteien immer wieder Schlupflöcher in Gesetzen und Mehrheiten in bürgerlich dominierten Parlamenten, um einseitig die Öffnungszeiten, auch die Arbeitszeiten zu verlängern: in den 90er Jahren kündigte der Bundesrat und Parlament in einer Nacht- und Nebelaktion das Arbeitsschutzabkommen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO, weil sie das Nachtarbeitsverbot der Frauen aufheben wollten. Später wurde das Eisenbahngesetz entdeckt für längere Ladenöffnungszeiten, jetzt sind es Tourismusbestimmungen.
Das alles passiert ohne Verhandlungen und gegen den Willen der Arbeitnehmer, diese haben sich klar dagegen ausgesprochen – manch-mal sogar gegen den Willen der Ladenbesitzer, die unter Zugzwang kommen. Die Arbeitsbedingungen werden nicht verbessert, sonder verschlechtert: die Leute müssen tendenziell länger arbeiten, zu jeder Tages- und Nachtzeit arbeiten, und wenn das normal wird, fallen auch Sonntags- und Nachtzuschläge weg, was zusätzlich auf die Löhne drückt. Die Mietzinse steigen, der Druck auf die Marge nimmt zu.
Ich teile keineswegs die Begeisterung des Gemeinderates, das ein zukünftiges shopping-Erlebnis rund um die Uhr die Attraktivität von Bern ausmachen würde – der Gemeinderat ist in sich widersprüchlich, denn er sagt grad zwei Zeilen weiter, dass die Attraktivität gestiegen ist – ohne dieses permanente Shoppyland notabene. Ich teile einzig die Überzeugung der Initianten, dass sich der Strukturwandel beschleunigen würde – sprich kleine, einheimische Läden gehen ein und grosse, internationale Ketten profitieren.
Und wo ist das Ende? Warum nur die untere Altstadt – in der Motion im Grossen Rat ist schon von der gesamten Altstadt die Rede. Bern würde sich abheben von Thun, Biel und Solothurn – ja wie lange denn? Die andern werden bald nachziehen. Wenn Läden offen haben – wie steht es mit den Aussenquartieren? Westside? Wankdorf? Der Anlieferung? Der Reinigung? Der Produktion?
Die SP lehnt die Motion ab – durchaus im Wissen, dass viele Leute am Sonntag einkaufen - darum gibt es ein paar wenige Enthaltungen – aber auch im Wissen, dass kleine Läden und Galerien auch heute schon offen haben können und weil wir den Arbeitsnehmern nicht einseitig weitere Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen aufzwingen dürfen, und weil das Schlupfloch derart durchsichtig ist, dass es weiteren einseitigen Verlängerungen der Ladenöffnungszeiten und der Arbeitszeiten Tür und Tor öffnet.