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Vom Überbringen einer Botschaft

Für die Vernissage/Finissage der Ausstellung "Mein Bild des Jahres" am 16. Februar 2024 sollte ich als Präsident eine Botschaft überbringen. Schwierige Sache.

Die Botschaft unseres Präsidenten

Lukas Lehmann hat die Ausstellung «Mein Bild des Jahres» MBDJ organisiert. Im flyer habe dann ich gelesen, dass es eine «Botschaft unseres Präsidenten» gibt, und das stellt mich vor grosse Probleme:

Welcher Präsident ist gemeint, jener der Fotograf:innen, die das Bild des Jahres organisieren, oder offenbar doch der wbg8?

Will man überhaupt eine Botschaft unseres Präsidenten? Präsidenten haben ja nicht den besten Ruf, die Schweiz zumindest hat keinen, der Kanton auch nicht, und die Stadt Bern – tja.

Was ist mit der Botschaft? Sie soll nett und kurz sein, also guten Tag allerseits, schön das ihr hier seid.

Wenn sie schlecht ist, riskiert der Überbringer den Kopf. Das kommt schon in der Bibel vor, zum Beispiel beim Prophet Jeremia. Dieser Jeremia war übrigens ein furchtbarer Jammeri, von ihm stammt der Begriff der Jeremiade, in der man den gesellschaftlichen Verfall beklagt. Verbreitet sind die Jammerreden heute vor allem in Amerika, bestes Beispiel Donald Trump.  Das Gegenstück zum Gejammer ist natürlich das Heilsversprechen, auch das bringen die Präsidenten und das macht es nicht besser, bei Obama hiess das «yes we can» oder bei Trump ist es sein GAGA-MAGA-Mantra.

Aber Achtung: Fotografinnen und Fotografen sind auch professionelle Botschafter:innen. Im Fall der Ausstellung «Mein Bild des Jahres» MBDJ sind sie das sogar mit Konzept: Die 68 Fotograf:innen schicken sich gegenseitig das Bild des Jahres zu. Ein offensichtlicher Austausch von Botschaften also, und das ganz traditionell per Post, also mit (Post)Bote oder Botin überbracht.

Ich weiss nicht wie es euch ergangen ist beim Erhalt dieser Bilder. Ich habe selber habe zum Jahreswechsel noch nie so viele düstere Botschaften bekommen wie dieses Jahr. Verbunden mit der Hoffnung, dass es 2024 besser wird, was natürlich nicht stimmt.

Zombie-Zeit: so liesse sich unsere Zeit beschreiben. Wir tun so, als ob unsere Lebensweise, unser Verkehrs- oder Wirtschaftssystem noch lange weiter funktioniert. Aber eigentlich wissen wir, dass das nicht geht: unsere Lebensweise ist vergangen, obsolet, will aber nicht vergehen.

Seit ein paar Jahren gehört der Begriff Zombie für Firmen, die längst überschuldet und eigentlich bankrott sind, zum offiziellen Sprachgebrauch. Der IWF rechnet, dass zehn Prozent der weltweit grössten 600 Firmen Zombies sind, etwa Boeing, Exxon, Signa aus Österreich, oder in der Schweiz die eben untergegangene Credit Suisse.

Darum ist meine Frage an eure Bilder, an die Bilder vom Jahr 2023:

Haben sie eine Botschaft? Sind Zombie-Bilder darunter? Bewusst oder unbewusst aufgenommen: vielleicht erkennt man das Doppelbödige, Untote hinter der Fassade erst mit dem zweiten Blick oder jetzt, ein Jahr später?

Schaut euch doch die Bilder nochmals an – und bitte: köpft nicht die Fotografin oder den Fotografen!

Und köpft auch nicht das Organisationskomitee Josef Stücker, Iris Ritter, Reto Oeschger und Fabienne Andreoli. Iris Ritter und Reto Oeschger sind sogar extra angereist aus Zürich.

Viel lieber schenken wir ihnen ein – was denn sonst – Fotobuch. Es ist dem Punto gewidmet, dem wunderbaren Treffpunkt, der hier im alten Tramdepot während 22 Jahren Bestand hatte.

Das Punto war eine Oase von Glück und Lebendigkeit, das genaue Gegenteil eines Zombies. Das Punto war von Anfang an Skizze, eine Zwischennutzung, und das Bewusstsein dieser Vergänglichkeit hat es gerade ausgemacht. Denn Zombies lehnen sich – letztlich vergeblich – gegen die Tatsache auf, dass sie schon vergangen sind.

Wir sind als Genossenschaft wbg8 jetzt seit anderthalb Jahren hier. Zwischendurch gibt es wie heute Veranstaltungen, und ich hoffe: das Leichte, provisorische, überraschende wird auch in Zukunft ein Teil vom Genossenschaftsleben sein.

Mir gefällt auch der Ausstellungsort der Bilder im Untergeschoss. Ganz beiläufig stecken die Fotos provisorisch mit dünnen Nadeln auf den Faserblatten. Ich sehe sie immer ich auf dem Weg zum Velo oder in den Keller. Ein grosses Merci an Lukas und an die Fotograf:innen. Ich werde die Fotos schon am Tag vermissen, an dem sie abgehängt sind.

Thomas Göttin, 16.2.2024