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"Umweltpolitik darf sich nicht in Routine erschöpfen und blutleer werden"

Thomas Göttin verlässt Ende Oktober nach 14 Jahren das BAFU. Seit 10 Jahren leitet er die Abteilung Kommunikation. Im Interview hält er Rückblick auf seine BAFU-Zeit und blickt voraus auf seine neue Stelle als Leiter des Polit-Forums Bern im Käfigturm.

 

Thomas, Du verlässt das BAFU nach 14 Jahren und beginnst am 1. November als Leiter des Polit-Forums Käfigturm. Wie fühlst Du Dich in der Phase des Aufräumens und Aufbrechens?

 

Ich blicke auf eine tolle Zeit beim BAFU zurück und freue mich sehr auf die neue Aufgabe.

 

Gibt es auch ein weinendes Auge?

 

Nein, weshalb auch? Das Thema Umwelt bleibt mir erhalten, einfach aus einer neuen Perspektive von Demokratie und Politik. Und auch der Kontakt zu engen Kolleginnen und Kollegen des BAFU wird weiterbestehen.

 

Wie hat sich die Umweltpolitik während Deiner Zeit im BAFU seit 2004 entwickelt?

 

Komplexität und wechselseitige Abhängigkeit der Themen haben enorm zugenommen. Umweltpolitik kann nicht mehr isoliert von anderen Politikbereichen betrachtet werden. Zudem zeigt sich immer mehr, dass Umweltprobleme zwar vorab naturwissenschaftlich determiniert scheinen, aber Resultate gesellschaftlicher Prozesse sind, welche auch sozial- und geisteswissenschaftlich analysiert werden müssen. Darauf hat kürzlich auch der Forschungsrat des BAFU hingewiesen. Ich habe den Eindruck: In den 80er Jahren haben junge WissenschaftlerInnen und Verwaltungsleute die damals neuen Fragen kühn und transdisziplinär angepackt. Das braucht es immer wieder neu, sonst besteht die Gefahr, dass die Umweltpolitik sich in Verwaltungsroutine erschöpft und blutleer wird.

 

Hat das BAFU mit dieser Entwicklung Schritt gehalten?

 

Eine Behörde muss in erster Linie verlässlich und glaubwürdig handeln und kommunizieren. Aber sie muss auch Impulse aufnehmen und antizipieren können. Dazu gehört, dass sie als Arbeitsplatz für junge Talente attraktiv bleibt und sich fragt, wie sie der nächsten Generation die Verantwortung für die wichtigen Dossiers übertragen kann.

 

Kommen wir zu einigen Meilensteinen in Deiner BAFU-Zeit. Du warst Projektleiter für die Einführung des CD Bund auf Anfang 2007. Was hat es gebracht?

 

Das CD Bund war ein ganz wichtiger Schritt für die Identität der Bundesverwaltung. Über dieses schlichte Wappen wurde viel diskutiert. Ich finde es nach wie vor überzeugend. Zudem haben wir mit dem zusätzlichen CD BAFU den Spielraum konsequent genutzt, darum kann man heute die Umweltthemen visuell identifizieren.

 

2004 genehmigte die damalige BUWAL-Direktion das Gesamtkonzept Umweltberichterstattung, das Du als Projektleiter zusammen mit Nicolas Perritaz entwickelt und umgesetzt hast. Wo steht die Umweltberichterstattung heute?

 

Damals gab es konkurrierende Umweltberichte von BUWAL und BFS und auf europäischer Ebene war die Schweiz ein weisser Fleck. Wir sind in den letzten Jahren sehr weit gekommen: Wir arbeiten mit Indikatoren, der Umweltbericht ist heute ein Bericht des Bundesrates, wir sind Teil der europäischen Berichterstattung. Es gibt aber noch zwei grosse Herausforderungen: Nach meiner Einschätzung sollten wir Ressourcen von der Umweltbeobachtung zur Berichterstattung verlagern und die Koordination und Zusammenarbeit mit den Kantonen und Städten verstärken.

 

Du hast Dich immer für die neuen Kanäle, die Social Media, eingesetzt. Inzwischen ist das BAFU auf mehreren Plattformen (Twitter, LinkedIn, Youtube) aktiv und eröffnet demnächst eine Facebookseite fürs Magazin Umwelt. Bist Du zufrieden mit dem, was in diesem Bereich erreicht wurde?

 

Ja, sehr. Es ist nicht Aufgabe des BAFU zu werten, ob diese neuen Kanäle gut oder schlecht sind. Das Amt muss jene Instrumente nutzen, die unser Zielpublikum nutzt, um die Leute dort zu erreichen, wo sie sind. Und dazu gehören offensichtlich auch die Social Media. Im BAFU haben wir das früher angepackt als andere und konnten deshalb andere Ämter unterstützen. Das BAFU hat viele Twitter-Follower, besitzt Glaubwürdigkeit und wird wahrgenommen. In diese Richtung muss es weitergehen.

 

Ist das denn die grösste Veränderung in der Kommunikation, seit Du beim BUWAl angefangen hast?

 

Nein. Social Media sind eigentlich nur neue Kanäle. Die grosse Veränderung ist die Individualisierung der Kommunikation: die Leute wollen heute nicht mehr einfach informiert werden, sie wollen selbst aktiv teilnehmen, partizipieren, sich austauschen, sie kreieren selbst Inhalte. Eine Folge dieser Individualisierung ist die Fragmentierung der Öffentlichkeit. Zudem ist die Presse unter Druck, weil die Medienhäuser ihre Werbegelder aus dem Internet nicht mehr für publizistische Zwecke einsetzen. Das heisst: Es gibt nicht mehr DAS Zielpublikum, sondern es gibt viele gesellschaftliche Gruppen und Individuen, mit denen sich das BAFU austauschen sollte. 

 

Dein Hauptanliegen war und ist Vernetzung. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit mit den Kantonen, zu der Du den Impuls gegeben hast.

 

Der Anstoss dazu kam von den Kantonen selbst. Heute sind wir mit der so genannten Delkom (Délégation à la communication der KVU) sehr gut aufgestellt. So können die Botschaften der Umweltpolitik über die verschiedenen förderalen Ebenen koordiniert und verstärkt werden. Eine besondere Stärke der Delkom ist, dass auch die Städte dabei sind. Es hat sich auch gezeigt, dass die Städte in der Umweltpolitik eine immer wichtigere Rolle spielen. Sie sind sehr nahe an der Bevölkerung und an den konkreten Alltagsfragen bei Themen wie Littering, Klima oder Artenvielfalt.

 

Vergleicht man frühere Abteilungsorganigramme mit heutigen, so fällt auf, dass es keine Stelle für interne Kommunikation gab…

 

Interne Kommunikation ist für ein so grosses Amt wie das BAFU eine strategische Notwendigkeit und muss Chefsache sein. Es braucht Instrumente, um den Leuten Orientierung und Zusammengehörigkeit zu vermitteln. Weil wir in der Kommunikation nie zusätzliche Mittel erhalten haben, mussten wir diese Möglichkeit durch interne Reorganisation und Anpassung der Stellenprofile schaffen. Noch sind wir nicht am Ziel: Mehr Austausch und Zusammenarbeit über Abteilungsgräben und Hierarchiegrenzen hinweg wäre wichtig.

 

Du warst auch am Aufbau der Krisenorganisation und des Führungsraums beteiligt. Wo stehen wir hier?

 

Wenn man mit der Situation des Hochwassers 2005 vergleicht, sind wir heute um Welten besser! Es ist toll, was wir mit Bundesämtern aus drei Departementen erreicht haben bezüglich Warnung, Alarmierung und Krisenkommunikation für besondere Lagen. Neben den Naturgefahren-Ereignissen haben wir die Führungsorganisation mehrmals auch bei drohenden Reputationskrisen einberufen, z.B. 2011 beim Hackerangriff auf die Emissionshandels-Datenbanken oder bei medial stark beachteten Beschaffungsprojekten. Das wichtigste ist die Früherkennung einer drohenden Krise, die Sensibilität für schwache Signale. Dafür ist jede und jeder der Mitarbeitenden verantwortlich. Wenn man diese Signale übersieht und zu spät reagiert, nimmt die Krise ihren Lauf und der Schaden ist kaum mehr abzuwenden.

 

Zu Deiner Abteilung gehört auch die Bildung. Was waren da die Highlights?

 

Während das BAFU früher einzelne Projekte unterstützte, sind wir nun viel besser vernetzt mit den wichtigen Akteuren der Berufsbildung. Wir sind in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und InnovationSBFI an den Revisionen der umweltrelevanten Berufe beteiligt und haben auch Gründung und Aufbau der Stiftung éducation21, dem nationalen Kompetenz- und Dienstleistungszentrum für Bildung für Nachhaltige Entwicklung, mitgeprägt.

 

Was ist Deine neue Aufgabe im Polit-Forum Käfigturm?

 

Die Vermittlung von Demokratie und Politik mit Veranstaltungen und Ausstellungen. Ich möchte aber nicht im Käfigturm verharren, sondern stärker auf die Leute zugehen und den Austausch, die Partizipation und Vernetzung stärken. Dabei kann ich auch meine politischen Erfahrungen, z.B. als Stadtratspräsident von Bern, einbringen. Darauf freue ich mich sehr.

 

Was nimmst Du aus der BUWAL- und BAFU-Zeit mit in den Käfigturm?

 

Vieles. Nur ein paar Beispiele: Citizen Science, als eine Form der Vernetzung von Bevölkerung, Wissenschaft und Politik. Die Mehrsprachigkeit oder das Wissen um Bildungsfragen. Oder die Umweltberichterstattung: was braucht es, damit sich die Bevölkerung für den Zustand ihrer Umwelt interessiert und sich ein Bild davon machen kann.

 

Bei welchen Themen bist Du froh, dass Du sie zurücklassen kannst?

 

Was ich gerne hinter mir lasse, sind die WTO-Ausschreibungen für Kommunikation und Bildung. Ich halte dies für einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler, dafür braucht es in der kleinen Schweiz andere Instrumente der Gouvernanz. Vermissen werde ich aber meine kleine Sammlung von «kurligen» Verwaltungswörtern, die ich mir über die Jahre angelegt habe, z.B. mit der «Tonnenkilometerdatenerhebungsverordnung», den «Raufutterverzehrerbeiträgen», «Frühjahrszirkulationswerten», «Nicht-Ziel-Organismen», der «clonalité» und den «effets sélectifs du rempoissonnement» und meinem Lieblingssatz: «Nous sommes à l’aube de la Mitwirkung sur le Markierungshandbuch….»

 

Wie soll es weitergehen mit der BAFU-Fussballmannschaft, wenn Du weg bist?

 

Das knickt mich selbst… was soll ich sagen?, ein Spiel dauert zweimal 45 Minuten.

 

Interview Rebekka Reichlin und Robert Stark