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Demokratiepass und Partizipation

Geschätzte Gäste, verehrte Damen und Herren diplomatischer Vertretungen

 

Täglich fahre ich mit dem Velo am Weltpostverein vorbei. Der Weltpostverein ist eine der ältesten internationalen UNO-Organisationen und hat 192 Mitgliedstaaten. Seit der Gründung 1874 hat er seinen Sitz in Bern. An der Tramhaltestelle und in der Poststelle, die beide auch Weltpostverein heissen, treffe ich Menschen aus allen Weltgegenden für Konferenzen. Aber auch in Bern leben Menschen aus 164 Nationen. Am Gebäude hängt der Pegasus, drinnen gibt es Fahnen aller Nationen, und dahinter versteckt sich der einzige Fussballplatz des Quartiers, ebenfalls ein Tummelplatz der Nationen. 

In Bern können Sie auch zu Fuss eine Weltreise unternehmen. Rund 75 Botschaften sind in der Stadt Bern angesiedelt – die meisten davon im Stadtteil vier. Am Sitz des apostolischen Nuntius hatte es im wunderbaren Garten lange Zeit eine Finnen-Bahn. Ich habe allerdings nie einen Nuntius joggen gesehen. Der jetzige hält uns mit Twitter auf Trab. Auch Monaco hat eine Botschaft am Gryphenhübeli, es leben immerhin 2 Monegassen oder Monegassinnen in Bern.

Am meisten Leute vertritt die deutsche Botschaft – ein Fünftel der ausländischen Bevölkerung in Bern sind deutsche Bürgerinnen oder Bürger. Diesen Sommer war ich beim Botschafter in seiner wilhelminischen Residenz geladen. Vor dem Mittagessen zeigte er mir den Garten mit der Bemerkung „er geht bis an die Aare, hätten die Gäste Badehosen dabei, könnten wir vor dem Essen noch in der Aare schwimmen“. Gut, ich hatte die Badehose dabei und so blieb dem Botschafter nichts anderes übrig, als mit mir einen Aareschwumm zu nehmen.

Die Burgergemeinde verkaufte 1879 grosse Teile des damals unbebauten Terrains für die Summe von 425'000 Franken an die englische Kapitalgesellschaft Berne Land Company. Damit war die Idee verbunden, eine vermögende Bevölkerung anzuziehen, damit ja „kein Proletarierquartier auf dem Kirchenfeld entstehe.»[1] So beherbergt das Kirchenfeld bis heute viele Repräsentationsgebäude und eben diplomatische Vertretungen, aber auch die englischen Anlagen und die anglikanische St. Ursulas Church von 1906. Seit 1883 wird das Gebiet mit der Kirchenfeldbrücke erschlossen. Regelungen schränkten von Beginn weg die Bauhöhe, die Möglichkeit für Beizen und den Bau von Fabriken ein – mit diesen Einschränkungen kämpfen wir in der Stadt bis heute.

Ein multikulturelles Bijou mittendrin stellt das Murifeld dar, eine Arbeitersiedlung aus den 30er Jahren. In einer Sommernacht nach einem Tangokurs gemeinsam mitten auf der Strasse den mitgebrachten Rotwein trinken, so dass der Tangolehrer sich nach Buenos Aires versetzt fühlt – das gehört zu meinen schönsten Erlebnissen in diesem Quartier. Das Murifeld ist ein gutes Beispiel für konkrete Mitbestimmung seiner Bewohnerinnen und Bewohner aus vielen Ländern bei der Organisation und Verwaltung der Liegenschaften, die der Stadt gehören. Überhaupt hat der Stadtteil vier, wie alle Stadtteile, eine gut funktionierende Quartierorganisation. Wir könnten weiter gehen, beispielweise wie andere Städte mit einer Stadtbürgerschaft, oder als ersten Schritt zumindest mit einem Demokratiepass, um die aktive Teilnahme von Migratinnen und Migranten am städtischen Leben zu fördern.

Der Stadtteil kann zudem den einzigen echten See von Bern, den Egelsee vorweisen. Seit diesem Jahr hat es an seinem Ufer auch nicht mehr einen Entsorgungshof, sondern ein Café. Von dort kann man zu Fuss zum Paul Klee Zentrum spazieren auf Wegen, die nach Klees Bilder benannt sind: Also vom Café links um den See „schreiten und gleiten“, rechtsherum „es promeniert“.

Meine letzte Station ist Wittigkofen. 1271 hat eine religiöse Gemeinschaft das Schloss dem Heinrich de Wittichoven für 150 Bücher abgekauft (das hätte ich nie gemacht). Das Hochhaus-Quartier mit  1250 Wohnungen ist seit dem Bau verkehrsfrei und hat wunderbare Sicht auf die Alpen. Die ersten Pläne aus den 60er Jahren für sieben Quartiere mit bis zu 20‘000 Einwohner bildeten einen Meilenstein der Schweizer Stadtplanung. Heute leben etwa 3000 Menschen dort, 17 Prozent davon sind Ausländerinnen und Ausländer. Speziell ist aber die grosse Vielfalt der ausländischen Bevölkerung – so ist hier der Anteil Menschen aus Asien und Afrika hoch, auch deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger sind überdurchschnittlich vertreten.

Am Samstag hat die Knabenmusik Bern zusammen mit Flüchtlingen ein Konzert „Musik ohne Grenzen“ gegeben. „Gelebte Integration“ hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga dies in ihrem Grusswort bezeichnet. Was für die Musik gilt, gilt auch für die Stadt: Gemeinsame Erfahrungen erweitern den Horizont und Migrantinnen und Migranten tragen zur gesellschaftlichen Erneuerung bei – zu einem vielfältigen, vielstimmigen Stadtleben

 


[1] Schweizerische Gesellschaft für Kulturgüterschutz, http://www.sgkgs.ch/de/Kulturgueter-1/Hist-Bauten--Baudenkmaeler/Bern/Bern-Kirchenfeldquartier.