Wieviel Staat erträgt die Wirtschaft?
Die SP Stadt Bern will den Gemeinderat verpflichten, Massnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu ergreifen. Die Stadtberner FDP fordert ein «Moratorium für Experimente in Krisenzeiten».
«Bund»: Die SP fordert die Durchführung eines Stadtfestes als konjunkturfördernde Massnahme. Was hat ein Stadtfest mit Konjunkturförderung zu tun?
Thomas Göttin: Das geht auf eine Idee von Bundesrat Pascal Couchepin (fdp) zurück. Als Stadtpräsident von Martigny hat er Feste gefördert, um den Zusammenhalt der Bevölkerung in Krisenzeiten zu fördern.
Der konjunkturfördernde Effekt eines Festes ist eher gering. Gemeinderätin Barbara Hayoz (fdp) nannte diese Forderung populistisch.
Thomas Göttin: Man kann das gegen uns verwenden. Wir fordern aber auch Massnahmen zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit. Das ist uns viel wichtiger.
Pascal Rub: In dieser Stadt gibt es ständig Feste wie die Eröffnung des Bahnhofplatzes, die Euro 08, die Übertragung des Cupfinals auf dem Bundesplatz. Feste bieten SP-Stadtpräsident Alexander Tschäppät eine Gelegenheit zur Profilierung. Aber eine Massnahme zur Konjunkturförderung sind sie nicht. Das Vertrauen der Bevölkerung kann man nicht mit Festen kaufen.
Was meinen Sie mit Vertrauen?
Pascal Rub: Das Vertrauen in Wirtschaft und Staat, dass es nach der Krise wieder aufwärtsgeht.
Hayoz bezog ihren Vorwurf auch auf die SP-Forderung, Lehrlinge in der Stadtverwaltung nach ihrem Abschluss weiterzubeschäftigen. Dies sei bereits heute der Fall.
Thomas Göttin: Bis jetzt gibt es eine Arbeitsplatzgarantie von 12 Monaten. Wir fordern nun 18 Monate.
Pascal Rub: Das Anliegen ist sympathisch, aber auch gefährlich. Die Garantie gibt eine falsche Sicherheit. Zudem handelt es sich um eine Aufstockung des Stellenetats. Irgendwann wird man ihn wieder runterfahren müssen, wogegen sich die SP wehren wird. Es werden auch Altersgruppen gegeneinander ausgespielt. Wenn man jungen Menschen eine Stellengarantie gibt, leiden womöglich Angestellte mittleren Alters. Diese haben mehr Verantwortung, aber in der Regel auch mehr Mühe, sich beruflich neu zu orientieren. Junge Menschen sind flexibler für Zwischenlösungen wie zum Beispiel Sprachaufenthalte. Wir wehren uns nicht gegen Weiterbeschäftigungen in Härtefällen, aber gegen eine Garantie, weil sie falsche Anreize setzt. Warum sollte ein Lehrling einen Sprachaufenthalt machen, wenn er eine Anstellungsgarantie hat?
Thomas Göttin: Die Garantie soll ja nur für jene Lehrlinge gelten, die keine Stelle finden. Für ältere Mitarbeitende fordern wir zum Beispiel Kompetenzaustauschprojekte. Firmen, denen Arbeitsplatzabbau droht, sollen ihre Angestellte an andere Arbeitgeber ausleihen können. Von der FDP habe ich bisher nur Kritik gehört, aber keine Vorschläge. Die Krise hat Verantwortliche wie die Grossbanken, welche die FDP sponsern.
In der letzten Budgetdebatte sagte FDP-Stadtrat Christoph Zimmerli, Steuersenkungen seien die beste Konjunkturmassnahme.
Pascal Rub: Der Aufschwung beginnt im Kopf. Dazu braucht es Vertrauen. Mehr Geld in der Tasche nützt nichts, wenn man es nicht ausgibt. In diesem Sinn braucht es nicht nur eine Steuersenkung.
Wie wollen Sie dieses Vertrauen herstellen?
Pascal Rub: In der Krise besinnen sich viele auf ihre Fähigkeiten. Wir fordern ein Moratorium für Experimente in Krisenzeiten. Es macht keinen Sinn, die Menschen mit neuen Aktionen und Massnahmen herauszufordern. In der Krise ist es mutiger, Ruhe zu bewahren, anstatt in Aktivismus zu verfallen. Zudem leidet die Verwaltungsstadt Bern weniger unter Konjunkturschwankungen als andere Städte. Für die Arbeitslosigkeit gibt es eine Versicherung. Kleinunternehmer dagegen haben keine Versicherung gegen Kurzarbeit. Jeder Unternehmer, der Angestellte länger beschäftigt, als er Arbeit für sie hat, vernichtet Eigenkapital. Am meisten verlieren die Aktionäre von Firmen, die heute Kurzarbeit haben und Marktanteile verlieren.
Meinen Sie tatsächlich, die Aktionäre seien die Verlierer und nicht die entlassenen Angestellten?
Pascal Rub: Wie gesagt: Die Angestellten sind in der Arbeitslosenversicherung versichert. Der finanzielle Schaden trägt der Aktionär.
Thomas Göttin: Das ist ein starkes Stück. Der einstige FDP-Präsident Franz Steinegger hatte recht, als er sagte, die FDP sei die Partei der Marktideologie.
Pascal Rub: Es ist unbestritten, dass bisher 40 Prozent der Vermögen krisenbedingt vernichtet wurden. Die, die mehr haben, betrifft das auch mehr.
Thomas Göttin: Da geht es um Millionäre, die wieder auf dem Stand ihres Vermögens im Jahr 2005 sind. Ihre Anzahl hat sich in der Schweiz in den letzten 20 Jahren vervierfacht. Wenn die FDP jetzt sagt, diese Leute hätten am meisten verloren, kann ich das nicht nachvollziehen.
Pascal Rub: Da werden Sie von uns nichts anderes hören. Die Exzesse am Finanzmarkt haben wir verurteilt, aber wir helfen nicht mit, die ganze Wirtschaft umzukrempeln.
Thomas Göttin: Wir müssen aber die Dimensionen der Arbeitslosigkeit sehen: Wir werden 2010 bis zu 6 Prozent Arbeitslosigkeit haben. Die Jugendarbeitslosigkeit wird gegen 10 Prozent steigen. Ruhe bewahren als oberste Devise ist eine Bankrotterklärung der Politik.
Schaden staatliche Eingriffe in die Wirtschaft nicht den KMUs, Herr Göttin?
Thomas Göttin: Im Gegenteil, wir wollen die Stellung der KMUs stärken und fordern zum Beispiel, dass sie leichter zu Krediten kommen. Noch zum erwähnten Verzicht auf Experimente: Die FDP wollte bei der letzten Budgetdebatte die Wirtschaftsförderung abschaffen.
Pascal Rub: Eine schlanke Verwaltung ist für uns die beste Wirtschaftsförderung. Die städtische Wirtschaftsförderung aber hat vor allem Apéros organisiert. Gegen Experimente wehren wir uns im Bildungswesen. Einer ihrer Vorstösse betrifft die Schaffung einer Institution für Wissenstransfer auf Hochschulstufe. Erstens ist das nicht Sache der Stadt, und zweitens gibt es solche Institutionen bereits.
Ironischerweise könnte man sagen: Die Konjunkturförderung in diesem Fall besteht in der Schaffung einer Institution mit fünf Arbeitsplätzen.
Thomas Göttin: Nein. Bezüglich Solartechnik zum Beispiel haben wir einen Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten. Wenn das die Wirtschaft nicht schafft, muss der Staat für den Wissenstransfer sorgen.
Die Hochschulen sind Sache des Kantons. Sie fordern den Gemeinderat auf, sich beim Kanton für dieses und jenes einzusetzen. Betreiben Sie nicht Symbolik?
Thomas Göttin: Nein. Die Stadt kann auch von sich aus die Initiative ergreifen, indem sie ein Treffen für den Kompetenzaustausch unter Firmen organisiert. Es braucht Initiativen auf allen Ebenen.
Pascal Rub: Die Symposien zum Thema Klima und Alternativenergien gibt es bereits. Es gibt auch Firmen in Region und Kanton, die in Alternativenergien investieren, wie zum Beispiel Meyer Burger in Steffisburg. Staatliche Eingriffe in diesem Bereich laufen aber nicht selten auf Verstaatlichungen und eine Konkurrenzierung der Privatwirtschaft hinaus. Es darf nicht sein, dass das stadteigene Werk Energie Wasser Bern (EWB) ständig neue Firmen auf diesem Gebiet kauft, wie zuletzt die Fritz Krebs & Co. in Oberhofen mit 70 Angestellten.
Herr Göttin, sehen Sie die Wirtschaft als Partnerin oder als Konkurrenz?
Thomas Göttin: Natürlich als Partnerin. Der Staat muss die Rahmenbedingungen setzen. Die Schweiz war führend im Bereich Solarenergie in den 1980er-Jahren. Seither ist nichts geschehen. Herr Rub, was sagen Sie den Entlassenen der Wifag, der Bystronic und anderer Firmen in der Region?
Pascal Rub: Darauf gibt es keine pauschale Antwort im Sinne von: «Die Banken sind schuld.» Es gibt eine konjunkturelle Abkühlung, und es gibt einen Strukturwandel. Das ist nicht lustig, aber auf diese Weise geschieht überhaupt Innovation. Die Unternehmen müssen manchmal harte Entscheidungen fällen. Diese müssen aber im Einzelfall beurteilt werden. In der Solartechnik gibt es zurzeit vielleicht zu wenig Studierende. Das wird der Markt aber regeln, schliesslich sind das attraktive Jobs. Das ist der sogenannte Schweinezyklus. Es braucht eine gewisse Zeit, bis sich ein System den Bedingungen der Krise anpasst. Das kann man nicht mit Vorstössen im Stadtrat beschleunigen.
Die SP Stadt Bern will laut Wirtschaftspapier «attraktive Steuersituationen» schaffen. Wie soll das funktionieren, wenn die Stadt die Konjunktur fördern soll?
Thomas Göttin: Beim Wirtschaftspapier geht es um eine langfristige Perspektive.
Pascal Rub: Alles, was Sie heute fordern, kostet etwas. Die Stadt Bern hat keine Reserven, sie hat in den letzten Jahrzehnten über ihren Verhältnissen gelebt. Sie hat ihre Schulden «reduziert» durch Plünderung der Reserven von EWB. Da die Stadt keine Ressourcen hat, will sie sich am Steuerzahler schadlos halten.
Aber was heisst «attraktive Steuersituation» konkret?
Thomas Göttin: Da geht es um Kooperationen mit anderen Gemeinden und Gemeindefusionen, bei denen man Synergien nutzen kann.
Pascal Rub: Wir sind gespannt, wann die SP eine Steuersenkung unterstützen wird. Die SP-Fraktionschefin hat sie in der letzten Budgetdebatte ja angekündigt.
Thomas Göttin: Steuersenkungen in Krisen sind ineffizient. Das Geld wird meist gehortet. Bei Investitionen in die Bildung dagegen resultiert ein Gegenwert.
Wann ist für Sie eine Steuersenkung diskutabel?
Thomas Göttin: Man wird die Situation analysieren müssen. Die Stadt Bern steht steuermässig nicht schlecht da.
Pascal Rub: Viele Gemeinden in der Region haben ihre Steuern senken können. Die Abwanderung guter Steuerzahler in den Speckgürtel ist unbestritten. Die FDP wird in der nächsten Budgetdebatte wohl erneut einen Alternativvoranschlag mit Steuersenkung vorlegen.
Wann ist die Krise zu Ende?
Pascal Rub: Die konjunkturfördernden Massnahmen in Ländern wie zum Beispiel China, das Investitionsgüter aus der Schweiz importiert, werden rasch wirken. Mit diesen Programmen entschärft sich die Krise in der zweiten Hälfte 2010.
Also braucht es doch Konjunkturprogramme?
Pascal Rub: Nein, es braucht keine Konjunkturpakete. Sie wurden in diesen Ländern aber aus nationalistischen Interessen ergriffen.
Thomas Göttin: Die Schweiz profitiert von den konjunkturfördernden Massnahmen ihrer Handelspartner. 2010 wird die Krise sicher nicht vorbei sein. Ohne konjunkturfördernde Massnahmen wäre die Weltwirtschaft zusammengebrochen.
Interview: Bernhard Ott