Die Argumentation der Stadt zerpflückt
In der Stadtratssitzung vom 19. Februar 2015 verlangte die SP-Fraktion die Diskussion zur Interpellation und insbesondere zur Antwort des Gemeinderates. Für die SP zerpflückte Rithy Chheng die Argumentation des Gemeinderates, interessant dass z.b. der Gemeinderat auch schon mal Wiesen und Weizenfelder zu Quartieren zählt, wenn es seiner Argumentation hilft...
Werte Anwesende
Wir danken dem Gemeinderat für die Antwort. Wir haben den Bericht mit grossem Interesse gelesen. Es ist jedoch zu sagen, dass wir für den rechthaberischen und etwas hämischen Ton, den die Verfassenden anschlagen, kein Verständnis haben, zumal sie selbst nicht überall stringent argumentieren. Wie vermutet zeigt sich, dass der Ertrag pro Hektar in den Gründerzeit-Vierteln im Nordquartier, in der Länggasse usw. am höchsten ausfällt. Ein Vergleich zwischen den Wohnquartieren macht dies deutlich. Zudem zeigt sich, dass im Westen gleiche oder höhere Erträge pro Hektar erzielt werden als zum Beispiel im Kirchenfeld, obgleich der Bericht etwas anderes suggeriert.
Zu betrachten sind die sogenannten Problemquartiere 606, 607, 608, 611, 614 und 615, namentlich Acherli, Holenacker, Gäbelbach, Tscharnergut, Schwabgut und Fellergut, also die dicht bebauten Hochhausgebiete, die den gleichen oder einen höheren Steuerertrag pro Hektar aufweisen als die Quartiere Kirchenfeld, Felsenau oder Obstberg, und vor allem ist ihr Ertrag höher als der des benachbarten Brünnenquartiers. Daraus folgt, dass der Schlusssatz des Berichts, der Westen weise in allen Zonen den geringsten Steuerertrag aus, nicht stimmt.
Wenn der riesige statistische Kreis 619, Oberbottigen-Riedbach, wo sich ein paar Bauernhäuser befinden, und oftmals auch der Kreis 628, also Niederbottigen, in die Berechnungen beim Hektarvergleich einbezogen werden, ist es nicht verwunderlich, dass ein solches Ergebnis entsteht. Wenn den Verfassenden des Berichts daran gelegen wäre, alle Verzerrungen in ihrer Analyse auszuräumen, müssten die Kreise 618 und 619 als extreme Flächen-Ausreisser bei der vergleichenden Analyse ausgeklammert werden oder man müsste beim Länggassquartier die Waldfläche einbeziehen, denn meines Wissens gibt es im Forsthaus nur eine einzige Wohnung.
Es wird versucht, nach Zonen zu unterteilen: In den Karten „Gemischt“ und „Kernzone“ wird jeweils ein sehr geringer Anteil an Kreisen miteinander verglichen, weite Teile des Quartiers bleiben jedoch ausgeblendet. Gerade hier wirkt der Kreis 619 verzerrend auf die Verhältnisse im Westen. Im Bereich „Wohnzonen“ werden am meisten Flächen pro Quartier einander gegenübergestellt und verglichen. In den Karten, beispielsweise in Boxplot, fehlt ein Gesamtvergleich ohne Aufteilung nach Zonen, in den alle Flächen einbezogen sind. Wieso keine Gesamtschau erstellt worden ist, obwohl alle nötigen Daten dafür zur Verfügung stehen, wissen wir nicht. Leider weiss die SP-Fraktion auch nicht, wie das Gesamtresultat aussieht.
Wir finden es interessant, dass im Kirchenfeld und im Kreis VI jeweils 32 Prozent der Steuersubjekte Eigentümerinnen oder Eigentümer sind, während in der Länggasse 21 Prozent, im Breitenrain 13 Prozent oder im Mattenhof 18 Prozent zu dieser Kategorie zählen. Somit lässt sich festhalten: Obwohl Eigentümerinnen und Eigentümer, wie zu erwarten, anteilsmässig mehr Steuern bezahlen, weisen die Mieterquartiere im Stadtteil II, in der Länggasse, ohne Rossfeld, und im Stadtteil V, im Breitenrain, die höchsten Erträge pro Quartier aus. Die in der Überbauungstabelle suggerierte Schlussfolgerung, man müsse vor allem auch an das Eigentum denken, geht nicht ganz auf, zumal es im Quartier mit dem höchsten Anteil an Eigentümerinnen und Eigentümern, nämlich im Kirchenfeld, zugleich in manchen Sektoren nur halb so viele Personen pro Hektar wie beispielweise in den Quartieren II, III und V gibt.
Manche werden einwenden, dass es kein Anrecht darauf gebe, in der Stadt Bern zu wohnen. Dieser Ansatz ist falsch. Gerade günstige Wohnungen sind für die Region Bern enorm wichtig, weil die Mietpreise überproportional zum Einkommen steigen, wodurch die Bevölkerung aus der Stadt und der Agglomeration verdrängt wird. Um die Stadt sowie die umliegenden Gemeinden als lebendige Gebilde erhalten zu können, braucht es Wohnraum, speziell auch für Familien.
Wie verändern genossenschaftliche Wohnbauprojekte die Stadt Bern? In einer genossenschaftlichen Vierzimmerwohnung leben durchschnittlich drei Leute, in einer privaten Wohnung sind es nur zwei. Wohnbaugenossenschaften konsumieren deutlich weniger Fläche. Wären alle Wohnungen so gut belegt, fänden mehrere tausend Leute zusätzlich Platz in der Stadt Bern, was wiederum einen höheren Steuerertrag bei gleichzeitig geringeren Infrastrukturkosten zur Folge hätte, ausserdem könnte man so der Zersiedlung entgegenwirken. Der volkswirtschaftliche Nutzen der Wohnbaugenossenschaften ist sehr hoch, was leider vielen nicht bewusst ist. Die genossenschaftliche Form von Eigentum erfährt steuerrechtliche Benachteiligungen, warum ist das so? Private Haus- und Wohnungseigentümerschaften geniessen zahlreiche Privilegien, die den Genossenschaften vorenthalten bleiben, nämlich die Möglichkeit eines steuerlichen Abzugs der Unterhaltskosten und der Schulden, die Reduktion des Eigenmietwerts bei Unterbelegung – was in die gegenteilige Richtung des raumplanerisch Erwünschten geht –, einen Aufschub bei der Grundstückgewinnsteuer, wenn neues Eigentum erworben wird – im Falle eines Erwerbs von Genossenschaftsanteilen aus dem Verkaufserlös existiert kein gleiches Recht –,zudem gelten Bausparmodelle nur für private Eigentümerinnen und Eigentümer. Steuervorteile dieser Art haben faktisch den Charakter einer massiven Subventionierung des privaten Haus- oder Wohneigentums.
Ein Blick nach Zürich: Im Jahr 2000 lag der Marktanteil der Genossenschaften im Kanton Zürich bei 10,4 Prozent. In der Stadt Zürich ist der Anteil seither leicht gestiegen, während er im Kanton gesunken ist. Es fehlt nicht an bauwilligen Genossenschaften, sondern an bezahlbarem Land. Es ist bekannt, dass Genossenschaften weniger Wohnfläche beanspruchen: Eine Auswertung der Registerdaten und der Bevölkerungsbefragung in der Stadt Zürich ergibt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner genossenschaftlicher Wohnungen im Jahr 2009 im Durchschnitt 35,9 m2 Wohnfläche pro Person beanspruchen, bei den nicht genossenschaftlichen Wohnungen sind es 41,6 m2 pro Person. Betrachtet man nur die Neubauten ab Baujahr 2000, beansprucht die Bewohnerschaft genossenschaftlicher Wohnungen 37,3 m2, während es bei den Nicht-Genossenschafterinnen und -Genossenschaftern 50 m2 sind. Wenn alle Stadtbewohnerinnen und -bewohner die gleiche Wohnfläche wie die Genossenschafterinnen und Genossenschafter beanspruchen würden, hätten in der Stadt Zürich 40'000 bis 50'000 Bewohnerinnen und Bewohner mehr Platz. Eine dichte Bauweise und eine bessere Belegung bedeuten auch, dass die öffentliche Hand pro Kopf weniger Infrastrukturkosten aufbringen muss. Dazu kommt, dass der Steuerertrag pro Quadratmeter Bauland in verdichteten Siedlungen höher ausfällt als in Siedlungen mit Einfamilienhäusern.
Untersuchungen in den Städten Basel, Luzern und Zürich zeigen, dass an Orten, wo genossenschaftliche beziehungsweise gemeinnützige Wohnungen sind, der höchste Steuerertrag generiert wird. Unsere Fraktion ist der Meinung, der forcierte Bau luxuriöser Wohnobjekte in vielen Städten verursache einen volkswirtschaftlichen Schaden. Die Ansiedlung von Menschen mit hohem Einkommen treibt die Immobilienpreise und die Wohnkosten unnötig in die Höhe. Der Mittelstand muss die Zeche bezahlen, indem er einen stetig steigenden Anteil seines Einkommens für das Wohnen aufwenden muss. Diese Mittel fehlen wiederum für den Konsum alltäglicher Güter, von dem die lokalen Quartierläden profitieren könnten. Es wäre schön, wenn es einen guten Mix an Steuerzahlenden gäbe, was volkswirtschaftlich gesehen am effizientesten wäre. Fazit: Dass teurer Wohnraum höhere Steuereinnahmen generiert, ist ein Märchen! Mit der Antwort des Gemeinderats sind wir teilweise zufrieden.
Die ganze Debatte nachzulesen im Sitzungsprotokoll vom 19.2.2015