Keine Relativierung der Menschenrechte
Wortmeldung Polizeieinsatz WEF-Demo 16.6.2005
(BAK): Orientierung über Untersuchungsergebnisse betreffend Polizeiarbeit anlässlich der WEF-Demonstration vom 22. Januar 2005
Werte Anwesende
Der IKRK-Präsident, der Schweizer Jakob Kellenberger, hat am 16. März 2005 vor den Delegierten der UNO-Menschenrechtskommission in Genf daran erinnert, dass Menschenrechte und das humanitären Völkerrecht die Folter absolut verbieten. Ausdrücklich hat er erwähnt, dass auch Einschüchterung und Erniedrigung zu gehören. "Solche Misshandlungsarten verletzen die Prinzipien der Menschlichkeit und könnten nie moralisch gerechtfertigt werden". Besonders gefährdet sind Menschen, die verhaftet werden oder gefangen sind. Seine Aussagen stehen vor dem Hintergrund, dass seit mehreren Jahren weltweit die Freiheits- und Menschenrechte und das Folterverbot immer stärker relativiert werden. Das geht mir persönlich nahe, seit ich 1993 mitgeholfen habe, hier in Bern die erste Session vom Russell-Tribunal zur Verletzung der Menschenrechte in Ex-Jugoslawien durchzuführen. Wir erleben diese Relativierung in Amerika. Wir erleben sie in Europa. In England hat sich das konservative House of Lords ohne Erfolg gegen die Einschränkung von uralten Freiheitsrechten seiner BürgerInnen gewehrt.
Die Relativierung macht auch vor der Schweiz nicht Halt. Über 400 FCB-Anhänger sind von der Zürcher Polizei im Dezember 2004 stundenlang festgehalten worden, zum Teil gefesselt, stehend, sitzend, ohne Verpflegung, ohne Möglichkeit auf die Toilette zu gehen, einige haben dann auch in die Hosen gemacht. Die NZZ schreibt: "Gerade weil das Ziel der Aktion – gegen gewalttätige Hooligans vorzugehen – einleuchtend ist und der eingetretene Erfolg – das Ausbleiben von Ausschreitungen und Sachbeschädigungen – der Polizei Recht zu geben scheint, besteht die Gefahr, auszublenden, was tatsächlich im Detail passiert ist." Ich zitiere die NZZ, weil sie in Fragen der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte ein Gewissen hat. Und sie bleibt, das muss man ihr lassen, auch im Falle der FCB-Anhänger glasklar: "In der Politik heiligt der Zweck oft die Mittel. Wenn es um die Frage der Rechsstaatlichkeit geht, gilt das nicht."
In Bern: knapp siebenstündige Festnahmen, keine Verpflegung, bis auf die Unterhosen nackt ausziehen. Das ist erniedrigend, das ist einschüchternd. Es sind Sachen, die auch an andern, schlimmeren Orten im Ausland eingesetzt werden, um Menschen zu entwürdigen. Sie sind durch nichts zu rechtfertigen, weder durch Polizeinormen, noch durch die zugegebenermassen belastende Polizeiarbeit, noch durch angebliche Gefährdung an Leib und Leben. Schockiert hat mich auch die Gleichgültigkeit des Gemeinderates, der das Ausziehen der Verhafteten in vier Zeilen abtut. Ich bestreite, dass wir in einem permanenten Ausnahmezustand leben. Wenn es um die Rechtsstaatlichkeit geht, heiligt der Zweck nicht die Mittel.
Das Uno-Komitee gegen Folter hat im Mai die Schweiz besucht. Wie sie es sich erklären können, weshalb die Zahl der Klagen wegen Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zugenommen habe, hat der Berichterstatter Claudio Grossman die Schweizer Delegation gefragt. Und warum die Schweiz keine unabhängige Institution schaffen wolle, die sich mit Klagen über Misshandlungen durch die Polizei befasst. Das wäre ein Weg, auf nationaler Ebene. Für die Genfer Polizei gibt es ein Ausbildungsmodul Menschenrechte. Welchen Weg wir auch immer einschlagen: In Bern darf es keine Erniedrigung und keine Einschüchterung durch die Polizei geben, wir dürfen die Menschenrechte nicht relativieren, in der Polizei nicht, bei den politischen Institutionen nicht und in der Gesellschaft nicht. Hier steht die Polizei in der Verantwortung, ganz besonders aber auch der Gemeinderat. Mit den mageren Antworten auf den BAK-Bericht ist es nicht getan. "Wenn der Staat der Menschen- und Bürgerrechte, um eben diese Rechte aufrechtzuerhalten, auch nur temporär zum Polizeistaat geworden ist, hat er sich an seinen fundamentalen Voraussetzungen vergriffen." Das ist auch wieder NZZ.