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Die Bauordnung aus Sicht des linken Aussenverteidigers

Während zwei Sitzungen und fünf Stunden war die Diskussion zur Bauordnung im Stadtrat langweilig. Am Donnerstag 16. Juni 2006 überstürzten sich die Ereignisse im Stadtrat – fussballerisch gesehen ab der 85. Minute –, in einem dramatischen Finale mit Pfostenschüssen, Toren, einer Verlängerung und dem entscheidenden Treffer Sekunden vor Schluss.

 

Meine politischen Themen sind vor allem die Umwelt, Finanzen, Polizei. Von der Bauordnung verstehe ich nichts, meine Aufstellung ist deshalb passiv als linker Aussenverteider. Die Fäden im Mittelfeld und Sturm ziehen andere. Am umstrittensten ist Artikel 80. Er regelt das Nachtleben in der unteren Altstadt. Eine Mannschaft quer durch die Parteien möchte mehr Ausgang und Kultur, die andere ebenso parteiübergreifend mehr Ruhe im Wohnquartier. Ergebnislos haben sich beide Seiten während der ganzen Debatte immer wieder Scharmützel im Mittelfeld geliefert. Wenig Verkehr in meinem Couloir, hin und wieder ein Antrag zu einem unbedeutenden Artikel, eine kleine Änderung, eine Flanke, leicht zu stoppen.

Um halb zehn Uhr abends schreitet der Stadtratspräsident zur Abstimmung über die ersten, chancenlosen Varianten zu Artikel 80. Noch nicht die Hauptabstimmung, erst eine Art Warmlaufen. Die meisten ZuschauerInnen und die Presse haben die Tribüne bereits verlassen, enttäuscht über das bescheidene Niveau des Spiels. Die Wohnmannschaft siegt knapp, Pfostenschuss in der 85. Minute. Eine weitere Variantenabstimmung verläuft überraschend klar zugunsten der Nachtmannschaft. Pfosten auf der andern Seite. Nun stellt Stadtratspräsident die beiden bisher siegreichen Varianten zur entscheidenden Abstimmung einander gegenüber. Die Wohn-Equipe siegt mit 37 zu 33 Stimmen. Es ist Offside. Die Abstimmung wird wiederholt. Keckerweise wechselt der Stadtratspräsident die Fragestellung. Wer vorher den roten Knopf drückte, muss nun grün drücken und umgekehrt. Einige SpielerInnen plagen Krämpfe, sie lassen sich am Spielfeldrand pflegen. Wieder siegt die Wohnmannschaft, mit noch 34 zu 32 Stimmen. Tor! Der Schiedsrichter zeigt zwei Minuten Nachspielzeit. Erregte Diskussionen über den Spielverlauf. Sind die Abstimmungen korrekt wieder gegeben worden, haben alle verstanden, wie sie abstimmen mussten? Der sonst so geregelte Ablauf der Stadtrats-Debatten löst sich in ein unübersichtliches Chaos auf – Verfahren, Inhalte, Nebengespräche, alles mischt sich in die unmittelbarste Form der Politik, des Palavers. Offener Schlagabtausch. Die Nacht-Mannschaft nimmt einen letzten taktischen Wechsel vor und stellt Antrag auf Rückkommen. Dieser wird angenommen, die entscheidende Abstimmung wird erneut wiederholt. Mit einer Stimme Unterschied siegt die Nachfraktion: Ausgleich in der letzten Minute! Die Fraktionen verlangen ein Time-Out, das Spiel geht in die Verlängerung. Wie beim Cupfinal stehen die Stadtratsmitglieder herum, ich rede kurz mit dem Nachbarn von den Grünen, da finde ich schon meine Fraktionsmitglieder nicht mehr. Wo sind sie nur. Im Vorraum, stehend, die Taktik besprechend. Weshalb gibt es kein Wasser.

Schon beginnt die Nachspielzeit. Neue Lösungen werden vorgeschlagen. Eine Volksabstimmung in Varianten. Doch welche der verschiedenen Varianten, die zur Auswahl standen? Eine Wohn- und eine Nacht-Variante. Fast alle sind dafür, es sieht nach Unentschieden aus. Doch der Stadtrat muss eine Empfehlung abgeben. Letzte Abstimmung, noch eine Minute Spielzeit. Patt: 33 zu 33 Stimmen. Der Stadtratspräsident gibt den Stichentscheid zugunsten der Wohnfraktion. Toooor! Der Schiedsrichter pfeift ab. Alle sind erschöpft. Leibchen werden getauscht. Man geht gemeinsam ein Bier trinken.

 

Thomas Göttin

16.6.06