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Ein erfreulich unspektakuläres Jahr

Als SP-Präsident war mein Platz im Stadtrat während sechs Jahren mitten im Getümmel neben der Fraktionschefin Giovanna Battagliero und später Annette Lehmann. Mit dem Rücktritt in diesem Frühjahr rutschte ich in der Sitzordnung weit nach hinten an den äusseren Rand des Geschehens.

Von dort liess sich beobachten, wie schnell sich der neu gewählte Stadtrat in die Geschäfte eingelebt hat: Eine im Vergleich zu früheren Legislaturen deutlich verbesserte Diskussionskultur hielt Einzug, die ohne emotionale Polarisierungen auskommt.

Dazu beigetragen haben dürften die Wahlresultate: GLP mit Sitzgewinnen und BDP haben sich etabliert, die SP hat eine nochmals erstarkte und verjüngte Fraktion. Es mag unspektakulär sein, aber dafür sind ParlamentarierInnen im Grunde gewählt: um bei grossen und komplexen Inhalten, sei es bei Stadt, Kanton oder Bund, eine Entscheidung herbei zu führen. Diese ist – mit den Fachkenntnissen von der Verwaltung vorbereitet und im Parlament diskutiert – im besten Fall sogar inhaltlich gut und demokratisch breit abgestützt.

So etwas trifft nicht immer ein, beispielweise beim Centralweg ging alles schief und es kumulierten sich die Missverständnisse, bis am Schluss ein Resultat vorlag, das so eigentlich niemand wollte.

Und für handfestes Spektakel sorgte die neue Abstimmungsanlage im Ratssaal selbst, deren getäferte Abdeckung hinter dem Sitz des Ratspräsidiums an einer Sitzung mit grossem Gepolter herunter fiel und der Vizepräsidentin Tanja Espinosa (GFL) beinahe auf den Kopf gefallen wäre.

Sparen, sparen, sparen

Auffallend jedoch auch, wie sich der Stadtrat mehr und mehr mit Sparpolitik befasst. Vor allem die Vorgaben des Kantons, etwa in der Gemeinwesenarbeit, rücken die Finanzpolitik und damit fast automatisch immer Sparpolitik ins Zentrum.

Immer nur unter dem Aspekt des Sparens zu urteilen, ist zermürbend und gefährlich zugleich: Das macht blind für die konkreten Auswirkungen, ja blind überhaupt für die Probleme, von denen die Bevölkerung von den Gewählten eigentlich Lösungen erwarten dürfte.

Im Zweifelsfall muss man sich mit schwierigen Problemen nicht befassen, sondern behilft sich mit der Ausrede: kein Geld. Das ist umso einfacher, je weniger Bezug die ParlamentarierInnen zu den Wählenden haben – und je weniger es überhaupt gibt, sei es dass sie nicht zur Urne gehen oder gar nicht stimmberechtigt sind. Hier könnte die Ausweitung des Motionsrechts von den Jugendlichen zu den AusländerInnen eine kleine Korrektur ergeben: So wäre der Stadtrat gezwungen, sich mit Anliegen zu befassen, die sonst kaum auf der Traktandenliste stünden.

Mehr Kompetenzen?

Parallel zu dieser Verengung der Sichtweise – vielleicht sogar damit gekoppelt – verlangt der Stadtrat zunehmend mehr Kompetenzen, um sich operativ in die Regierungs- und Verwaltungstätigkeit einzuschalten. Dahinter steht ein Misstrauen, möglicherweise aber auch nur ein uneingestandenes Unbehagen: Die Regierung – über die Verwaltung mit den schwierigen Problemen der normalen Bevölkerung eher konfrontiert als Parlamentsmitglieder – bringt Vorschläge, mit welchen «man» sich lieber gar nicht erst auseinandersetzen würde.

Namentlich ist dies der Fall in der Sozial-, Bildungs- und Finanzpolitik, wo den komplexen Realitäten selten mit einfachen Lösungen beizukommen ist. Gerade eine Steuersenkungspolitik als einfaches Rezept der Einnahmenseite hat schwierige bis dramatische Folgen auf der Ausgabenseite. Was vor Jahren kaum der Erwähnung wert war: Dieses Jahr hat der Stadtrat ohne Aufhebens ein Budget mit einem kleinen Defizit verabschiedet, dem das Volk mit grossem Mehr zugestimmt hat.

Die umliegenden Gemeinden beginnen teilweise, die unsinnigen Steuersenkungen der letzten Jahre wieder rückgängig zu machen. Einzig das kantonale Parlament scheint gegenüber der Aussenwelt praktisch immun, verstärkt lieber die Vetorechte gegenüber der Regierung und genehmigt sich gleichzeitig eine kräftige Erhöhung der Diäten. Dieser Verlust an Realitätssinn ist vielleicht geradezu typisch – dies wäre zumindest eine Überlegung wert im Zuge der grassierenden Diskussionen um die Berner Identität.