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"Das ABC von Flora und Fauna zu kennen ist so wichtig wie lesen und schreiben"

Die letzten Tage haben immer wieder Leute den Kopf in mein Büro gesteckt und gesagt, ich hätte ja immer noch den ganzen Bücherschrank voll. Keine Angst, jetzt ist er leer, vieles geht direkt ins Archiv. Mir wurde gesagt, als Abteilungsleiter komme ich selber auch ins Archiv, aber vorläufig erst in Form von Akten.

Das Gute daran: mit den Bergen beschäftigen sich unsere Geophysikerinnen und -physiker, aber mit den Aktenbergen haben später auch die Historikerinnen und Historiker noch etwas zu tun. Denn warum und wie wir heute Umweltpolitik betreiben, wird auch die nächsten Generationen interessieren.

Ich hatte das Privileg, die Umweltpolitik während fast 15 Jahre, davon 10 als Kommunikationschef von BUWAL und BAFU mit zu erleben. In der Zeit sind tausende von Medienmitteilungen und Artikeln, zehntausende von Websiten, tweets, Medienauskünfte und Übersetzungen entstanden. Ein winziger Teil davon kam überhaupt je zu mir: Es macht mir grosse Freude, zu sehen was für Kompetenz und Verantwortungsbereitschaft in dieser Abteilung vorhanden ist. Voraussetzung dafür ist nicht etwa Loyalität, sondern etwas ganz anderes und wichtiges, nämlich gegenseitiges Vertrauen. Anders wäre das gar nicht zu bewältigen.

An der Front sind die Mitarbeitenden, vor allem die Medienleute, ich kann sagen: fast ohne Fehl und Tadel. Wichtig ist, dass nach Aussen die oberste Führung sichtbar und präsent ist, und als Mitglied der Geschäftsleitung habe ich auch gerne und stolz das Amtes vertreten. Aber ehrlich gesagt, für Beratungsausschüsse bin ich nicht geeignet.

Meine Aufgabe ist vor allem die strategische, die längerfristige Perspektive. Das hat sich dann z.b. so geäussert, dass mein früherer Stellvertreter und ich in unterschiedlichen Situationen nervös wurden. Wenn er als Medienchef nervös wurde, wusste ich, dass mediale Schwierigkeiten bevor standen. Da konnte ich ihm vertrauen. Wenn umgekehrt ich selber nervös wurde, war sein Reaktion: Was hat er jetzt wieder?

Das war meistens , wenn ich den Eindruck hatte, dass ein Thema langfristig kommunikativ schief aufgegleist ist, zum Beispiel falsches wording oder falsches framing, oder wenn sich Umwälzungen in der Kommunikations- oder Medienwelt abzeichneten, die man vielleicht unmittelbar noch gar nicht so wahrnimmt. So werden uns alle Begriffe wie Biodiversität oder Klimawandel bezüglich Wortwahl, Verständlichkeit und Emotionen, die damit verbunden sind oder eben nicht, weiter beschäftigen.

Bei den Social Media waren, das vergisst man schnell, noch bis vor kurzem intern alle Zugänge gesperrt, jetzt ist das BAFU zumindest auf twitter und linkedIn gut positioniert, mit Facebook beginnen wir demnächst. Immer mal wieder verteidigen musste ich das Magazin Umwelt, das habe ich mit Überzeugung gemacht, die Fakten waren immer korrekt und die gedruckte Auflage hat sich völlig gegen den Trend fast verdoppelt, noch besser war eigentlich nur das Magazin Landliebe.

Vernetzung ist für die Umweltkommunikation entscheidend, wenn wir mit unseren Themen und Handlungsempfehlungen bestehen wollen gegenüber anderen Themen oder konkurrierenden Ansprüchen etwa von Infrastrukturen. Vernetzung heisst auch die Menschen stärken, die sich für die Umwelt einsetzen. Darum ist die abteilungsübergreifende Medienplanung, die Zusammenarbeit mit Kommunikationsfachleuten in den Abteilungen, aber auch in den Kantonen und in Europa eine Investition in die Zukunft.

Ich bin sicher, als „normaler“ Bürger wird mich vieles an meine Zeit im BAFU erinnern:

Zum Beispiel die Umweltberichterstattung. Ich wünsche mir sogar noch mehr davon – das Bundesamt als Fachbehörde und Agentur soll die Fakten und die Analysen auf den Tisch legen und sich nicht zu stark durch seine Funktion als Ministerium einschränken lassen.

Oder das Naturgefahrenportal und die Warnungen, obwohl es vor zehn Jahren geheissen hat, das bringen wir unter all den Ämtern nie gemeinsam hin. Aber ich hoffe natürlich trotzdem auf möglichst gutes Wetter, oder mildes Klima? Auch das Klimaprogramm hat die internen Stürme überstanden und wird mir sicher begegnen.

Wenn ich draussen unterwegs bin, werde ich mich über das Pärke-Logo freuen oder die einheitlichen Markierungen von Schutzgebieten. Natürlich freue mich dann auch, wenn ich einem Luchs oder Bär begegne, oder, was wahrscheinlicher ist, jemanden von euch, wo wir erst noch ein Bier zusammen trinken können. Vermissen werde ich dann den plurilinguisme, les discussion en français, Amtsdeutsch wie die Tonnenkilometerdatenerhebungsverordnung und die Mix-Sprache etwa „nous sommes à l’aube de la Mitwirkung sur le Markierungshandbuch“.

Ich bin überzeugt: Umwelt wird uns in Zukunft wieder mehr und täglich beschäftigen. Es kommt eine neue Generation mit Themen wie Tierschutz, slow food, Kreisläufen, Pestizidverbot, Plastikstopp, Kulturlandinitiativen. Ich habe viel gelernt von meiner Tochter, die im Restaurant Noma in Kopenhagen arbeitet und wo der Chefkoch René Redzepi sagt: „Das ABC von Flora und Fauna, den Rhythmus von Landschaft und Jahreszeiten zu kennen, ist so wichtig wie lesen und schreiben“.

So wie in den 80er Jahren junge, hungrige und engagierte Leute in die Umweltpolitik eingestiegen sind in Disziplinen, die noch es noch gar nicht gab, wird die nächste Generation die Umweltpolitik nur voranbringen können mit einem transdisziplinären Ansatz. Denn es braucht eine gemeinsame Entwicklung von Fragestellungen und Lösung durch Natur- und Sozialwissenschaften bei so komplexen Themen wie dem Verhältnis von Gesellschaft und Klimawandel oder Biodiversität. Denn nur für die Gesellschaft sind die Themen ein Problem, und ein umfassendes Verständnis ist überhaupt erst Voraussetzung für Handlungsempfehlungen.

Ich freue mich, in meiner neuen Funktion als Leiter des Polit-Forums Bern im Käfigturm diese Entwicklung mit zu verfolgen. Mein Hauptthema wird die Demokratie sein. Aber die Umwelt wird mich weiter begleiten. Yolanda Kakabadse, die ehemalige ecuadorianische Umweltministerin, hat einmal gesagt: „Die Industrieländer sollten nicht die Armut bekämpfen, sondern den Entwicklungsländern ermöglichen, ihre Umwelt zu verteidigen. Dann sind die Menschen am ehesten fähig, sich selber aus der Armut zu befreien.“ Ich füge dem an: und genau das ist die beste Unterstützung für demokratische Werte, denn eine so verstandene, ganzheitliche Umweltpolitik funktioniert nur mit Demokratie. Umwelt und Demokratie sind existenziell aufeinander angewiesen – auch in der Schweiz. Ich hoffe wir sehen uns im Käfigturm.