Skip to main content Skip to page footer

Demokratiehäuser als Teil der demokratischen Infrastruktur

«Wer keinen Einfluss nehmen kann hat Angst. Und für Demokratien ist das eine grosse Gefahr», hat Martha Nussbaum letzte Woche in einem Interview gesagt. Direkte Demokratie ermöglicht es Einfluss zu nehmen, kann die Angst nehmen und eine demokratische Gesellschaft stärken. Das aber bedingt, dass sie nicht alles auf eine Karte setzt und Verlierer produziert, sondern den Ausgleich sucht und möglichst allen Bevölkerungsgruppen die Teilnahme ermöglicht – eine Demokratisierung der Demokratie sozusagen. Spannende Ansätze zu Partizipation und direkter Demokratie finden sich weltweit, und das häufig in grossen Städten, die auch als Demokratie-Labors funktionieren.

Ein Element zur Stärkung der Demokratie sind «houses of democracy», wie es erst noch wenige gibt, die den Bürgerinnen und Bürgern für Unterstützung, für Diskussionen und Austausch über politische Themen offen stehen. Sie sind ein Element eines offeneren, transparenteren Politik-Verständnis und auch ein Teil von demokratischer Infrastruktur. Das Polit-Forum, der Käfigturm, war ja vielleicht das erste solche Demokratiezentrum gewesen, eine Art Prototyp, der Ort hat sich aus einem kantonalen Archiv in ein kantonales Infozentrum und dann in den letzten zwanzig Jahren in einen Ort von Austausch und Diskussion verwandelt. Er ist symbolisch in seiner Nähe zum Bundeshaus und als früheres Gefängnis. Es gibt ähnliche Häuser, auch ehemalige Gefängnisse, in Spanien (San Sebastian) und Portugal (Porto, Fotomuseum), und es gibt andere Demokratiehäuser, die Citizen Hall in Seoul, kleinere Zentren in Athen, Bozen, Reykjavik, Falun, oder Honolulu.

In Rom am global forum über moderne direkte Demokratie im September 2018 haben sich Verantwortliche aus ein paar dieser Zentren zusammen gefunden mit der Idee, ein weltweites Netzwerk zu knüpfen. Dabei war die erste Frage: was macht ein solches Haus aus? Wir haben ein paar Schlüsselfaktoren identifiziert, obwohl natürlich in jedem Land, jeder Stadt die Situation wieder etwas anders aussieht, und das ist auch gut so. Also:

·         Ein Raum oder Gebäude, das der Bevölkerung und Organisationen der Zivilgesellschaft offen steht

·         Ausrichtung auf aktuelle politische Themen

·         Ein Ort für öffentliche Debatte

·         Offene Informationspolitik und Engagement für politische Bildung

·         Gute Zugänglichkeit

·         Unabhängigkeit

Umstritten war die Frage nach der Finanzierung: privat, öffentlich oder gemischt, aber auf alle Fälle politisch unabhängig. Längst nicht alle Demokratien haben dieselben Standards. Aber wenn Transparenz und offene Debatte möglich sind, ist der Weg zu mehr Partizipation und zu mehr Einfluss, Mitbestimmung, direkter Demokratie offen.

Die zweite Frage: was soll ein Netzwerk bringen: Dazu gehört der Informations- und Erfahrungsaustausch, aber auch Hospitanzen unter den Häusern sind denkbar. Ganz wichtig ist die gegenseitige Unterstützung – längst nicht alle Häuser sind gesichert oder unumstritten, das kennen wir selbst hier im Polit-Forum Bern, das ja geschlossen werden sollte. Nur eine breite Bewegung hat geholfen, den Käfigturm als Polit-Forum zu erhalten.

In der Abschlusserklärung des Forums, einer Charta für demokratische Städte, haben die Demokratiehäuser mit folgender Formulierung Aufnahme gefunden: «A Democracy City seeks to create physical spaces where people can be with each other, discuss with each other, and make democratic decisions together, freely and safely. In democracy cities, these spaces may take any number of forms, from previously abandoned buildings, to libraries, to schools, to streets reclaimed from brutal traffic, to centers that are explicitly houses of democracy”.

Der Gedanke lässt sich – auch für Bern – weiter führen: Wir müssen als Polit-Forum Bern weniger vorgeben als unterstützen. Wenn ich an die zahlreichen Organisatorinnen und Organisatoren und die vielen Ideen, die verschiedenen Sprachen und den Bezug zu Kriegs- und Krisengebieten denke, dann sind das Aspekte, welche der Berner Regisseur Milo Rau für ein relevantes Stadttheater der Zukunft definiert hat. Erst recht sind das Aspekte, die für ein politisches Forum von Bedeutung sind. Stichworte dazu: Arbeit an der Veränderung, in unserem Fall an der Demokratisierung, gemeinsame gesellschaftliche Prozesse, unterschiedliche Sprachen, Erfahrungen und persönliche Hinter-gründe inklusive solche mit Flucht- oder Kriegserfahrung, was wir etwa bei der letzten Ausstellung zum Thema Flucht thematisiert haben. Es geht um eine grundlegende Öffnung, wo die politische Verantwortlichen mehr denn je zu den Leuten gehen, um dort eine Diskussion auf Augenhöhe zu führen und Themen und Inhalte gemeinsam zu entwickeln und umgekehrt dass die Menschen ihre Ideen, Erfahrungen und Erwartungen auf Augenhöhe einbringen können.

Im letzten Jahr, dem ersten mit dem neuen Betrieb, haben wir das versucht, in 4 Ausstellungen, mit 47 eigenen Veranstaltungen, die meisten davon mit Partnern. Zudem ist der Veranstaltungsraum, der kostenlos für politische Zwecke gemietet werden kann, im letzten Jahr nochmals 198 mal benutzt worden. Insgesamt haben über 12'000 Besucherinnen und Besucher den Weg ins Polit-Forum Bern gefunden.

Wir werden das Thema Direkte Demokratie sicher in den kommenden Jahren weiter pflegen, über das Netzwerk von Demokratiehäusern, aber auch  in der Schweiz, wo es ebenfalls Häuser und Projekte für solche Diskussionsorte gibt.  Ich freue mich sehr auf den Austausch, denn nicht nur wir haben einiges zu bieten und haben viel «Labormaterial» zur Direkten Demokratie in der Schweiz, kürzlich mit der Landsgemeinde von Kloten, welche den Demokratiepries der Neuen Helvetischen Gesellschaft erhalten hat. Vieles spannendes passiert aber derzeit andernorts auf der Welt. Einige Aspekte werden wir sicher im Podium am 31. Januar schon aufgreifen.

Thomas Göttin 16.1.2019