Grosse Themen aus Quartierssicht
«Praktisch jedes grosse Thema lässt sich auf der Ebene des Quartiers abbilden», ist Redaktorin Eva Matter überzeugt. Einer der Gründe, weshalb es sich lohnt, das Länggassblatt zu lesen.
Den Mantel noch nicht ausgezogen, kommt Eva Matter bei unserem Mittagsgespräch ohne Umschweife zur Sache. Die Redaktorin des Länggassblatt interessiert sich für unsere Erfahrungen bei Journal B: Ob und wie junge JournalistInnen einsteigen, was Qualitätssicherung bedeutet und wie wir die Website betreuen. Dank ihrem ebenso wachen wie professionellen Interesse sind wir rasch mitten in einem Erfahrungsaustausch. Ebenso direkt und schnörkellos wie ihre Fragen sind ihre Antworten zum Länggassblatt.
Die Quartierperspektive macht es aus
Eva Matter hat bis vor zehn Jahren als Journalistin bei der NZZ gearbeitet. «Wenn du mit 50 Jahren einen andern Beruf ausüben möchtest, musst du mit 40 wechseln». Ganz vom journalistischen Schreiben verabschieden wollte sie sich aber nicht. «Ich finde es absolut faszinierend, dass sich praktisch jedes grosse Thema in einem Quartier abbilden lässt, Themen wie Verkehr, Flüchtlinge, Bildung oder die Rolle der Kirche. Es ist spannend, aus dieser Perspektive darüber zu schreiben». Genau das lese ich auch im Länggassblatt, denn es zeichnet sich durch keinerlei Berührungsängste vor grossen und doch im Quartier verankerten Themen aus – von der Verkehrspolitik bis zum Schweizer Film. Oder: wie geht die Kirche mit den leeren Gotteshäusern um? Im Länggassequartier soll die Pauluskirche zu einem Vorlesungssaal der Universität umgenutzt werden. «Ein Primeur, aber weder Bund noch BZ haben das aufgenommen. Als uns aber einmal ein dummer Fehler passierte, gab es sofort eine Glosse».
Gentrifizierung
Aus Quartiersicht steht die Lebensqualität im Vordergrund, da sind wir uns einig. Setzt das nicht eher, so meine Frage, einen links-grünen als bürgerlichen Zugang zu den Themen voraus? «Das beisst mich natürlich», entgegnet Eva Matter und überlegt kurz. In der Länggasse sei Gentrifizierung das grosse Thema. Die Aufwertung des Quartiers komme den Familien mit Kindern und den Hausbesitzern eher als den Mieterinnen und Mietern entgegen – ist nun die Verkehrsberuhigung ein links-grünes oder ein bürgerliches Anliegen? Die Antwort sitzt. Was sie damit sagen will: Das Länggassblatt versteht sich als politisch unabhängig. Die Mitglieder der Redaktion sind politisch nicht alle am gleichen Ort verankert – ohne dass dies zu Reibereien führt.
Das Redaktionsessen
Das Länggassblatt erscheint sechs mal im Jahr und wird von einer ehrenamtlichen Redaktion von momentan fünf Leuten betreut. Pro Ausgabe gibt es eine/n Verantwortlichen und eine Redaktionssitzung. Seit 8 Jahren ist Eva Matter dabei, und «noch jede Ausgabe ist herausgekommen». Das Vorgehen sei «simpel»: Wenn sie selbst verantwortlich ist, liest und redigiert sie jeden Text, gibt diese dem Fotografen weiter, der auch layoutet und die Ausgabe direkt in die Druckerei schickt. Das Layout, bemerkt Eva Matter mit trockenem Humor, komme «positiv ausgedrückt im Retrolook daher». Geprägt wird es von den ausdrucksstarken Schwarz-Weiss-Bildern des Fotografen Daniel Wietlisbach. Ebenfalls ehrenamtliche HelferInnen packen die rund 700 Abo-Exemplare ein und dann ab auf die Post. Einmal jährlich gibt es eine Grossauflage für das ganze Quartier. Die Abogebühren von 30 Franken und die Einnahmen der Werbung decken die Unkosten. Hinzu kommen Abgeltungen der Quartierkommission für Informationen über deren Aktivitäten. Ein Redaktionsessen für alle Beteiligten ist im Wesentlichen «die Entschädigung für unser Engagement».
Wer macht mit?
Eva Matter hält den Abwärtstrend der Zeitungen für bedauerlich, aber unausweichlich: «Meine Kinder, auch politisch sehr interessierte junge Erwachsene, lesen keine Zeitungen mehr und wollen nicht für Information zahlen.» Ebenfalls schwieriger sei es geworden, ehrenamtliche und vor allem jüngere Mitarbeitende für das Länggassblatt zu gewinnen. Das teils langjährige Team schrumpft wegen Abgängen laufend, was das Füllen der Seiten immer schwieriger macht. «Die langfristige Existenz des Blatts ist unterdessen alles andere als sicher. Nicht wie bei kommerziellen Blättern aus finanziellen Gründen, sondern aus personellen.»Erneut sind wir mitten im Erfahrungsaustausch zu den Fragen, die Eva Matter zu Beginn unseres Treffens aufgeworfen hat. Eine gedruckte Zeitung als Informationsplattform für das Quartier bleibt eine wertvolle Ergänzung der online-Medien. Aber in der Zukunft ist gut möglich, dass nach neuen Lösungen gesucht und z.B. die Zusammenarbeit mit anderen ehrenamtlichen Medien intensiviert wird. Für das Länggassblatt wird dies womöglich zur Überlebensfrage. Zum Schluss des Gesprächs, als Eva Matter grad selbst die beste Perspektive für das Foto auswählt, hege ich keinen Zweifel, dass diese Form vom engagiertem Quartier-Journalismus Zukunft hat, rasch genug auf neue Herausforderungen reagieren kann und immer auch junge Leserinnen und Leser wie auch Schreibende finden wird. Zu hoffen wäre es.