Skip to main content Skip to page footer

Ein offenes Buch über „viele Puntos“

Das Fotobuch „Punto“ über den Quartiertreff im ehemaligen Tramdepot Burgernziel ist ein Bijou. Der langjährige Präsident Mark Sollberger nennt es bescheiden ein „Familienalbum“, aber es ist weit mehr als das: eine Zeitreise durch 22 Jahre Quartierleben, die von kühnen Visionen, witzigen Ideen, Sinn für Wertschätzung und Realität, kulinarischen Höheflügen und Tiefgängen zeugt.

Der Quartiertreff Punto existierte von 1997 bis 2019 im ehemaligen Tramdepot Burgerziel, das derzeit neuen Wohnungen weichen muss. Er war von Beginn weg als Zwischennutzung konzipiert. Aus den ursprünglich geplanten zwei bis drei Jahren sind schliesslich 22 Jahre geworden. In dieser Zeit habe ich das Punto als einen der spannendsten und innovativsten Quartiertreffs der Stadt erlebt. Persönliche Initiative hatte Platz. Die Bring- und Holtage sind hier entstanden. Ideen waren stets willkommen, sei es die Schuttmulde als Gemüsegarten oder der Sandstrand vor der Beiz. Mit Toleranz gingen viele Dinge zusammen. Der Tramverein konnte mit den schnaubenden Oldtimer-Trams zur Stadtfahrt aufbrechen, die Quartiersektion der SP feierte den ersten Mai. Kultur, Kulinarik und viele weitere Projekte bildeten ein buntes, Punto-typisches Kaleidoskop. Das ist keineswegs zu verwechseln mit Beliebigkeit. Es brauchte dazu gelebte Grundsätze, neudeutsch würde man von „Erfolgsfaktoren“ reden: Offenheit gegenüber allen Lebensformen und Kulturen, zudem Kontinuität und ein langer Atem. Aber auch Herzblut, Bescheidenheit und unkompliziertes Vorgehen, was Sabine Schärrer als eine Seele des Punto immer wieder vorgelebt hat. „Es waren viele Puntos“, schreibt Tinu Beutler, und sie durften „als Zwischennutzung Skizze bleiben, Leichtigkeit wahren.“ Ich habe weniger als an andern Orten erlebt, dass sich ein Projekt oder eine Person über Gebühr in den Vordergrund gestellt hätte.

Das Buch ist gleich selbst ein Beispiel dafür, wie im Punto Dinge entstanden sind. Eine Maturaarbeit von Vera Blaser, gestaltet von ihrem Freund Noah Kohlbrenner, der eben die Grafikausbildung abgeschlossen hatte, wurde vom Vorstand gemeinsam mit den beiden jungen Leuten weiter entwickelt und mit externen Textbeiträgen ergänzt. Darunter ist auch ein Interview mit der Präsidentin der Genossenschaft, welche einen Drittel der Wohnungen übernehmen wird. Unaufgeregt wird so die Brücke zur Zukunft des Areals geschlagen, hinter der die meisten Beteiligten stehen können. Das restliche Vereinsvermögens wurde investiert und flugs ist das Buch kurz vor den Festtagen bei mir als Mitglied des Vereins Punto auf dem Esstisch gelandet.

Geworden ist es ein offenes Buch. Sobald man es aufschlägt und durchblättert, leuchten die Geschichten und Momente des Punto auf. Die Bilder zeugen von Leichtigkeit und Zugänglichkeit. Wie von selbst stellen sich die Erinnerung an eigene Erlebnisse ein. Das Foto von der Lesung mit Pedro Lenz wird überlagert von meiner Erinnerung an die Lesung mit Peter Bichsel, der bei einbrechender Dunkelheit mit einem Glas Rotwein in der Hand eine Geschichte über einen leeren polnischen Bahnhof vorlas, während draussen im Regen die Trams ins Depot fuhren. Wer aber das Punto nicht kannte, betrachtet das Buch vielleicht mit noch mehr Gewinn, denn es ist auch ein Wimmelbuch moderner Quartierarbeit. Eine Checkliste der Erfolgsfaktoren findet sich nicht, hingegen vieles vom Geist und den Ideen, Skizzen und Entwürfen des Punto. Kurz: anregend und inspirierend für Eingeweihte wie für Interessierte.

Punto. Ein Andenken 1997-2019. Erhältlich für 20.- in der Zytgloggenbuchhandlung oder bei Sabine Schärrer

Thomas Göttin, 26.1.2021