Der Anfang vom Ende
Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn bei einem Unternehmen Sparmassnahmen den Aufbruch in ein neues Zeitalter signalisieren. Das gilt für die SRG, welche ein Sparpaket von 80 Millionen schnürt und gleichzeitig den Sprung in die digitale Welt schaffen will, da sie beim traditionellen Radio und Fernsehen Publikum verliert. Das gilt ebenso für privaten Medienkonzerne, welche in den letzten Jahren Zeitungen geschlossen oder zusammengelegt haben und trotzdem den publizistischen Weg ins digitale Zeitalter nicht gefunden haben.
In der Mediengeschichte haben neue Player jeweils neue Medien etabliert: Weder waren es Theatervereine oder Zeitungen, die Radiostationen, noch Radiostationen die Fernsehanstalten gegründet haben, und keine dieser Unternehmen hat wesentliche Impulse in der digitalen Welt gesetzt. Zeitungen, Radio, Fernsehen sind aber alle auch nicht einfach verschwunden. Sie werden im digitalen Zeitalter ihren Platz haben, sofern sie es verstehen, auf ihren Stärken aufzubauen. Und dazu gehört beim Radio Ton und beim Fernsehen Bild. Gerade das Radio ist mit dem zeitversetzten Podcasting auf einem vielversprechenden und Fernseh-unabhängigen Weg, um all die Jungen mit ihren Ohrstöpseln beim Pendeln zu erreichen. Aber es ist ja nicht so dass die SRG die gesparten 80 Millionen im digitalen Bericht investiert. Sie werden ersatzlos gestrichen. Dazu soll die Schliessung des Radiostudios Bern – umstrittene – 5 Millionen beitragen. Um eine Teilschliessung bei der Verlagerung von 175 Arbeitsplätzen handelt es sich übrigens keineswegs: Weder die Bundeshausredaktion im Medienzentrum des Bundes noch das Regionaljournal erfüllen die Funktion eines Studios. Und erst recht fragt sich, was eine in einem halbleeren Radiostudio verlorene Inlandredaktion soll, umgeben von neuen Mietern oder der Generaldirektion. Gehörte sie der Logik folgend nicht erst Recht in den Zürcher newsroom? So bleibt es bei einem – finanziell umstrittenen – Sparentscheid ohne ersichtlichen inhaltlichen Mehrwert.
Gleichzeitig wird aber am publizistischen Grundverständnis in der Gesellschaft gerüttelt, welche die SRG geschaffen und in der no billag-Abstimmung mit grossem Einsatz und Erfolg gestützt hat. Dazu gehört die Binnenpluralität, auf welche Peter Bertschi, langjähriger stellvertretender Chefredaktor von Radio DRS kürzlich hingewiesen hat. Noch 2009 im Zuge der Konvergenz-Diskussion entschied sich die SRG gegen die Zusammenlegung der politischen Abteilungen von Radio und Fernsehen. Die Binnenpluralität ist ein mühsam und hart erstrittener Teil des Service Public der SRG. Blockade und Angst vor der Zürcher Dominanz beherrschten die Anfänge des Radios in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Erst als die fünf ursprünglich privaten Radios in den dreissiger Jahren unter Führung des Bundes unter dem Dach der SRG zusammen geführt wurden, etablierte sich dieses für das Selbstverständnis der Schweiz entscheidende System. Ab diesem Moment und bis in die Gegenwart der no billag- Abstimmung wird in der ganzen Gesellschaft leidenschaftlich über die Inhalte der SRG diskutiert. Wenn nun eines der fünf fast hundert Jahre alten Studios wegbricht und die regionale Genossenschaft Bern-Freiburg-Wallis über einen Austritt aus der SRG nachdenkt, lässt sich das als Anzeichen von Auflösungserscheinungen deuten. Die Genossenschaft Bern ist älter als das Radiostudio, für dessen Errichtung sie gegründet wurde. Und das Studio bestand lange vor der SRG. Es wird nicht einfach ein Studio geschlossen, sondern ein innerhalb unserer schweizerischen Gesellschaft ausbalanciertes Mediensystem aufgekündigt. Das Argument, in der digitalen Welt seien Standorte nicht mehr wichtig, zielt völlig ins Leere: Dasselbe galt nämlich von Beginn weg für die Radiowellen, die ohnehin ab den 30er Jahren zentral vom Sender Beromünster kamen. Trotzdem und mit gutem Grund rüttelte die SRG nie an der Binnenpluralität, an den Studios in allen Landesteilen mit ihren unterschiedlichen journalistischen Zugängen und Kulturen als Basis der inneren Medienvielfalt.
Mit der selbstgewählten Aushöhlung eines staats- und medienpolitisch bedeutenden Elements des Service Public setzt die SRG in einem kritischen Moment ihre Unterstützung in der Gesellschaft aufs Spiel. Eine Handvoll Manager und die neun Mitglieder des Verwaltungsrates haben diesen Entscheid gefällt. Sie mögen sich „betriebswirtschaftlich fit“ fühlen, aber es fehlt ihnen am staats- und medienpolitischen Verständnis. Im besten Fall dreht sich die kommende Diskussion deshalb darum, ob das aktuelle Selbstverständnis der Managern und Mitglieder des Verwaltungsrats zur Führung einer SRG ausreicht, die das Rückgrat des Service Public im Bereich Medien bildet. Zu befürchten ist anderes: Statt dass die SRG sich mit guten Programmen und gewichtiger Stimme an der Diskussion um das digitale Medienzeitalter beteiligt, dreht sich erneut alles um die Rolle der SRG. Das hatten wir gerade. Aber Verständnis und Unterstützung wird abnehmen. Das ist neu. Leider.
19.9.2018
Thomas Göttin, Vorstandmitglied Journal B. Er schrieb seine Abschlussarbeit an der Uni Basel über die Geschichte des Radios in den 20er Jahren und arbeitete von 1986-92 als Redaktor im Radio Studio Bern.