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Das Künstler:innenpaar Werner Ritter und Brigitte Kretz

Werner Ritter und Brigitte Kretz leben und malen seit Jahrzehnten im Kleinbasel. Am 4. September 2023 wird Werner Ritter 90 – eine Gelegenheit, Leben und Werk dieses aussergewöhnlichen Paares neu zu entdecken.

Ein betuliches Künstler:innen-Leben war nie ihre Sache. Werner Ritter war schon dabei, als 1967 die Farnsburg-Gruppe gegen die Bilderauswahl für die Basler Weihnachtsausstellung protestierte. Die Gruppe organisierte im Restaurant Farnsburg am Barfi kurzerhand eine eigene Ausstellung. Brigitte Krebs ging im berühmten Bauhaus in Dessau zur Schule. Später entdeckte sie die Schweizer Plakatkunst, welche zu der Zeit in der DDR verboten war. Aus politischen Gründen entschied sie sich mit 22 Jahren zur abteuerlichen Flucht in den Westen. In den Werken von Werner und Brigitte kommt immer wieder ein politisches und gesellschaftliches Interesse zum Ausdruck. Ausgerüstet mit Kamera und Zeichenstift habe ich sie auch schon angetroffen, wie sie ausgezogen sind um die private Wohnbauspekulation im Kleinbasel rund um ihre Liegenschaft an der Oetlingerstrasse zu dokumentieren. Kein Zufall, denn in den 1980er Jahren war ich mit einer WG zeitweise Mieter in diesem Haus.

Pop art und Kindererziehung

Die pop art Bilder von Werner Ritter hängen in den Kunstmuseen von Aarau und Thun, in privaten Sammlungen in Paris und den USA. Bekannt sind seine fotorealistisch komponierten Unfallautos mit glänzenden und zerknitterten Karrosserien. Vorlage waren Polizeifotos, wie sie auch der in der Kunstwelt gefeierte, kürzlich verstorbene Arnold Odermatt aufgenommen hat. Später kommen Faltenwürfe von Plastik oder Kleidung sowie hyperrealistische Bilder hinzu. Die Bilder und Radierungen von Brigitte Kretz sind weniger bekannt. «Die grossen Bilder habe ich alle verkauft», sagt sie dazu. Sie ist als Künstlerin aber auch weniger aktiv gewesen in der Zeit, in der sie die drei gemeinsamen Kinder gross gezogen hat. Umso spannender wäre es, die Arbeit der beiden in diesem Kontext zu betrachten. Denn gleichzeitig funktionieren sie immer auch als Künstlerpaar. Wurde ein Bild von Werner für eine Ausstellung nicht rechtzeitig fertig, konnte es sein, dass Brigitte die fehlenden Stellen beisteuerte. Selbst Bilder von ihr gingen unter seinem Namen in die Ausstellung. Im Unterschied zu andern Künstlerinnen stieg sie später wieder voll in die Arbeit ein.

Was möglich wäre, zeigt die aktuelle Ausstellung vergessener Künstler:innen aus den Beständen des Kunstmuseums in Bern: «Ich will den Kanon nicht ganz kippen, aber etwas aus der Balance bringen», sagt Kurtorin Marta Dziewańska im Interview mit Journal B und ergänzt zur Lebenswelt vor allem der Künstler:innen: «Viele davon, besonders Frauen, waren in einen Alltag als Gattin und Mutter eingespannt. Die Zeit und die finanziellen Mittel, um grossformatige Kunst zu machen, fehlte ihnen. Deshalb schufen sie oft flüchtigere Arbeiten.»

Ladärne zu Beuys’ Feuerstätte

Seit Mitte der 80er Jahren arbeiten Werner Ritter und Brigitte Kretz abwechslungsweise in einem Atelier in einer besetzten Fabrik in Paris und in der Kaserne. Ein grosser Verlust bedeutete deshalb die Aufhebung der dortigen Ateliers. Heute wehren sie sich gegen den Abriss der Fabrik in Paris, die Wohnblöcken weichen soll. Doch sind sie Basel immer verbunden geblieben. Brigitte Kretz gehörte während Jahrzehnten in Basel zu den bekanntesten Malerinnen von Fasnachtsladärnen und malte etwa für die Pfluderi und die Junteressli. Von Werner Ritter stammte die Ladärne der Alte Richtig 1978, die den umstrittenen Ankauf der Installation «Feuerstätte» von Joseph Beuys zum Sujet erkor. Am Fasnachtsmittwoch 1978 stellte Beuys in einer Performance aus Kostümen und Requisiten der Clique das Werk Feuerstätte II» zusammen, das ebenfalls in die Sammlung des Museums gelangte. Werner und Brigitte sind auch aktive Fasnächtler. In früheren Jahren waren sie mit den Edelzwigger unterwegs, eine Art Pendant zu den Kuttlebutzer. Am Fasnachtszyschdig 2022 traf ich sie weit nach Mitternacht noch vor dem Schlüssel.

Wenn die Vergessenen im Publikum sitzen

In Basel oder Riehen ist für Werner Ritter und/oder Brigitte Kretz nie eine öffentliche Ausstellung zustande gekommen. Eine gemeinsame Ausstellung im Projektraum M54 an der Mörsbergerstrasse haben sie 2015 selbst organisiert. So fehlt auch die «kunsthistorische Einordnung» durch eine Kunsthistorikerin oder einen Kunsthistoriker, ohne die es in Basel keine Unterstützung für eine Biografie oder Werkdokumentation gibt. Mag sein, dass ihr unkonventioneller Lebensweg oder der häufige Aufenthalt in Frankreich eine Rolle spielt. Oder dass pop art wenig Anerkennung findet. Auch Ladärnen tragen nicht zum Stellenwert als Künstler:in bei. «Ja die Fasnacht nicht erwähnen», erhielt ich mehrfach als vertraulichen Tipp. Und deshalb gibt es bis heute keine Möglichkeit, die Werke dieses aussergewöhnlichen Künstlerpaares in Basel neu zu entdecken. Anlässlich der Vernissage zu Georg Freuler im Kunstraum Riehen im September 2022 sprach die Kuratorin von den drei vergessenen Basler Künstler:innen Irène Zurkinden, Werner Ritter und Max Kämpf. Die Ironie dabei: Werner Ritter und Brigitte Kretz sassen im Publikum…

Wie anders dagegen am 5. Mai 2017 die Vernissage zur grossen Sonderausstellung Swiss Pop Art im Kunstmuseum Aarau: Ich traf Werner – weisshaarig und hager, unübersehbar mit Hut und Mantel und sichtlich gerührt – unter viel Publikum in einem Saal mit Werken von drei Künstlern: Jean Tinguely, Daniel Spörri und ihm selbst.Ich jedenfalls würde mich freuen, Werner Ritter, der seinen 90.Geburtstag feiert, und Brigitte Kretz in ihrem 93 Lebensjahr an der Vernissage ihrer eigenen Werke in Basel zu treffen.

Thomas Göttin, 4.9.2023