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Zusammenhalt und Bürgergesellschaft

Wenn aber die Gesellschaft so wichtig ist: weshalb, und was hält sie zusammen? Und was hat das mit Bürgerrechten zu tun? Damit beschäftigen sich die Szenarien der Berner Zeitung nicht: „Für uns hatte die Frage Priorität, wie der Kanton Bern in Zukunft kostengünstiger werden kann“, sagen Jürg Steiner und Stefan von Bergen im Interview.

 

Bereits bei der ursprünglichen Herausbildung der Sprache aus Zeigegesten vor mehreren hunderttausend Jahren stand die Kooperation und nicht Konkurrenz unter den Menschen im Vordergrund, darauf hat Michael Tomasello hingewiesen. Amartya Sen hat sich intensiv mit dem Zusammenhalt der Gesellschaft beschäftigt und dabei vor allem auch auf den Beitrag von Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft und überhaupt mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten hingewiesen. Ralf Dahrendorf hat für den gesellschaftlichen Zusammenhalt den Begriff der Ligaturen verwendet: „tiefe kulturelle Bindungen, die Menschen in die Lage versetzten, ihren Weg durch die Welt der Optionen zu finden“. Damit konnte er deutlich aufzeigen konnte, wie stark die neue globale Klasse zu einer Gefahr für den Zusammenhalt geworden ist: „Mit der lokalen Dimension scheint sie in Frieden zu leben. …Was sie dagegen als eine schlimme und anachronistische Behinderung ansieht, sind nationale Regierungen und ihre Gesetze. Die andere Gefahr ist die zwangsläufige Zerstörung der traditionellen Solidarität, was neue Ungleichheiten zur Folge hat“.

 

Richard Sennet hat kürzlich mit „Together“ ein ganzes Buch dem Zusammenhalt, dem Dialog und der Kooperation gewidmet (liegt ungelesen auf meinem Nachttisch). Adolf Muschg hat soeben mit Jacob Burckhardt über den Zusammenhalt in der Demokratie nachgedacht. Die Balance zwischen Religion, Staat und Kultur bedeute eben, „dass die Gesellschaft der Vorstellung eines guten Lebens fähig und ihr verpflichtet sein muss“. Er hat dabei insbesondere auf die Minderheit als „Seele der Demokratie“ verwiesen: „Darum entscheidet der Umgang mit der Minderheit darüber, ob in einer Gesellschaft heute gut zu leben ist – und ob sie darum auch morgen noch zusammenhält.“

 

Das hat auch praktische Bedeutung: Wichtig ist für mich beispielsweise für den Zusammenhalt, ob und wie eine Gesellschaft Feste feiern kann. Hier zeigt sich unter anderem, ob es ihr gelingt, die Vielfalt ein- oder auszuschliessen. Ich meine mit Amartya Sen, dass der Zusammenhalt auf die Länge nur möglich ist bei einer positiven Haltung zur Vielfalt. Mit diesen Überlegungen habe ich kürzlich mit andern StadträtInnen aus ganz verschiedenen politischen Lagern einen neuen Vorstoss für ein Berner Stadtfest im Zeichen der Brücken unternommen. Auch in der Musik, insbesondere der Volksmusik, zeigt sich diese Fähigkeit, vielfältige Einflüsse aufzunehmen. In den Szenarien der Berner Zeitung stört mich sehr die Vorstellung, dass second@s nur mit sozialen Problemen in Verbindung gebracht werden – sie leben konzentriert in Wichtrach und bilden die Banlieu von Bern. Dies ist eine sträfliche Unterschätzung des Beitrags, welche second@s für unsere ganze Gesellschaft leisten.

 

Zum Weiterlesen:

 

„Die Krisen der Demokratie. Ein Gespräch“, Ralf Dahrendorf, München 2002, und „Der Moderne soziale Konflikt", auch von Ralf Dahrendorf, Stuttgart 1994

„Die Identitätsfalle. Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt“. Amartya Sen, München 2007

„Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation“ Michael Tomasello, Frankfurt 2009

„Demokratie, oder: Die geraubte Braut“ Adolf Muschg, NZZ 11. 7. 2012

„Together. The Rituals, Pleasures and Politics of Cooperation“, Richard Sennett, Yale 2012